Hessen wagt 70-Millionen-Sprung in Wasserneuland

Von Elwine Happ-Frank

Hessen will sich gegen zunehmende Trockenperioden, überlastete Grundwasserressourcen und wachsenden Wasserbedarf in Ballungsräumen wappnen. Der Wasserverband Kinzig (WVK) wird dafür ein 70 Millionen Euro schweres Infrastrukturprojekt errichten.

Bislang versorgt der Verband die Region aus zehn Brunnen mit bis zu 4,55 Millionen Kubikmeter Grundwasser. Die Kinzigtalsperre bei Bad Soden-Salmünster diente bislang einzig dem Hochwasserschutz.

Das neue Hightech-Wasserwerk soll nun ab 2028 jährlich bis zu neun Millionen Kubikmeter Oberflächenwasser aus der Kinzigtalsperre zu hochwertigem Trinkwasser aufbereiten. Damit sichert der Verband, dem Frankfurt, Hanau und der Main-Kinzig-Kreis angehören, die Versorgung von 1,3 Millionen Menschen nachhaltig ab.

Das Konzept bietet entscheidende Vorteile für die Versorgungssicherheit: In regenreichen Wintermonaten kann die Brunnenförderung gedrosselt werden, wodurch sich Grundwasserspiegel schneller erholen.

Dies schafft Klimaresilienz, da das System flexibler auf extreme Wetterereignisse und längere Dürreperioden reagiert. Zugleich entsteht ein wichtiges zweites Standbein neben der klassischen Grundwasserförderung, was die Versorgungsrisiken minimiert.

Mehr Resilienz in der Versorgung

Moderne Ultrafiltrations-Technologie ermöglicht es, auch bei schwankender Rohwasserqualität konstant hohe Trinkwasserstandards zu gewährleisten. Das aufbereitete Wasser wird über eine acht Kilometer lange Transportleitung zum Hauptwasserwerk nach Wächtersbach-Neudorf geleitet und dort mit Brunnenwasser gemischt.

"Mit der Oberflächenwasseraufbereitung betreten wir in Hessen Neuland", bestätigte Jan Hilligardt, Regierungspräsident von Darmstadt, bei der Vorstellung des Projekts. Tatsächlich gibt es hessenweit bislang keine Oberflächenwasserförderung und -aufbereitung dieser Größenordnung aus einer Talsperre, weder hinsichtlich der Mengen noch der technischen Verfahrensreife.

Dass Hessen hier Pionierarbeit leistet, wird auch durch die Änderung einer Verordnung unterstrichen, die eigens für dieses Verfahren erforderlich wurde. Dies zeigt sowohl die Tragweite des Projekts als auch den politischen Willen, innovative wasserwirtschaftliche Ansätze zu unterstützen.

Das Land Hessen hat das Vorhaben als Leuchtturmprojekt eingestuft und die wissenschaftliche Begleitung mit 230.000 Euro gefördert. Nach neun Jahren Pilotphase und umfangreichen Tests attestieren externe Experten dem Projekt sehr gute Erfolgschancen.

In anderen Bundesländern bereits etabliert

Während Hessen Neuland betritt, haben andere Bundesländer bereits langjährige Erfahrungen mit Talsperren-Trinkwasserversorgung. Nordrhein-Westfalen ist der unbestrittene Vorreiter: Der Ruhrverband betreibt acht Talsperren mit einem Gesamtvolumen von 463 Millionen Kubikmetern, das größte zusammenhängende Talsperrensystem Deutschlands bezogen auf ein Flussgebiet. Allein hier werden 4,6 Millionen Menschen versorgt. Der Wupperverband betreibt zusätzlich 14 Talsperren, davon drei dezidierte Trinkwassertalsperren.

Baden-Württemberg setzt ebenfalls stark auf Oberflächenwasser: Die Bodensee-Wasserversorgung versorgt rund vier Millionen Menschen, und knapp ein Drittel des gesamten Trinkwassers im Land stammt aus Oberflächengewässern. Der Zweckverband Kleine Kinzig im Schwarzwald bedient bereits etwa 250.000 Menschen mit aufbereitetem Talsperrenwasser.

Bayern zeigt sich zurückhaltender: Hier gewinnen lediglich die Stadtwerke Lindau ihr Wasser aus dem Bodensee, während Flusswasserentnahme praktisch keine Bedeutung hat.

Wegweiser für deutsche Wasserwirtschaft

Das hessische Modellprojekt könnte Signalwirkung für andere Regionen entwickeln. Gerade Stadtwerke in grundwasserarmen Gebieten oder Ballungsräumen mit hohem Wasserbedarf dürften die Entwicklung mit Interesse verfolgen.

Die kombinierte Nutzung von Grundwasser und aufbereitetem Oberflächenwasser bietet nicht nur mehr Versorgungssicherheit, sondern auch ökologische Vorteile durch schonendere Grundwassernutzung.

Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef bringt die strategische Bedeutung auf den Punkt: "Diese Form der Trinkwassergewinnung aus einer Talsperre ist nicht nur innovativ und modern, sie ermöglicht uns auch, dem Grundwasser in kälteren Monaten Zeit zur Regenerierung zu geben."

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