Strompreis-Treiber Nummer eins: Monitoring heizt Netzkosten-Streit an

Von Andreas Baumer

Die Zahlen werden immer schwindelerregender. Würden die deutschen Übertragungsnetzbetreiber die im Netzentwicklungsplan 2037/45 identifizierten Netzmaßnahmen umsetzen, würden sich die Investitionskosten nach eigenen Angaben auf 440 Milliarden Euro erhöhen. Das geht aus dem Monitoringbericht hervor, der Mitte September veröffentlicht wurde. Gegenüber der Prognose aus dem Jahr 2023 wäre das ein Anstieg um mehr als ein Drittel.

Die individuellen Kostensteigerungen seien sehr technologiespezifisch, führen die Autoren aus. Nach Aussage der Übertragungsnetzbetreiber könnten sie teilweise auch bei mehr als 100 Prozent liegen. "Besonders im Bereich der Offshore-Konverterstationen kam es zu signifikanten Kostensteigerungen", heißt es im Bericht.

Auch Verteilnetzkosten im dreistelligen Milliardenbereich

Dabei sind die Übertragungsnetzkosten nur ein Teil der gesamten Stromnetz-Ausbaukosten. Auch im Verteilnetz ist der Investitionsdruck hoch. Im Monitoring wird unter bestimmten Bedingungen ein "absoluter Ausbaubedarf von rund 352 Milliarden Euro bis 2045" genannt. "Diese Abschätzung liegt deutlich über den Investitionsvolumina der Netzausbaupläne – und das, obwohl in den Orientierungsszenarien bereits teilweise Flexibilitäten und Spitzenkappung berücksichtigt wurden und die angesetzten spezifischen Kostensätze vergleichsweise niedrig sind", heißt es.

Die neuen Zahlen dürften den Druck auf die Bundesregierung weiter erhöhen, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Und tatsächlich nehmen die Netze im Zehn-Punkte-Plan von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) viel Platz ein. Auf acht Seiten ist der Begriff 19 Mal zu finden. Bemerkenswerterweise wurde auch das Bundesbedarfsplangesetz, das den Bau neuer Übertragungsnetzleitungen vorantreiben sollte und kurz vor Ende der vorangegangenen Wahlperiode gestrichen wurde, nicht wieder aufgenommen. Die Übertragungsnetzbetreiber hatten sich damals in einer Expertenanhörung uneins gezeigt, wie dringend das Vorhaben wirklich ist.

Die Autoren von BET und EWI beschäftigen sich im Monitoring seitenweise mit Möglichkeiten, Netzkosten zu drücken. Eine ganze Reihe von Optionen schaffte es auch in Reiches Zehn-Punkte-Plan. Als Optionen werden die Kombination etwa von Windkraft- oder Solaranlagen mit Speichern, Netzampeln, Überbauung, kapazitätsbasierte Netzentgelte und regional differenzierte Baukostenzuschüsse sowie Boni genannt. Sie sollen Anreize für einen netzfreundlichen Zubau von Anlagen und eine effiziente Nutzung bestehender Netzkapazitäten schaffen.

 

  • Netzampel: Zeigt an, in welchen Regionen nicht der ganze Strom aus erneuerbaren Energien ins Netz eingespeist werden kann, weil das Netz an seine Grenzen stößt.
  • Überbauung: Mehrere Anlagen (zum Beispiel Solar plus Batterie oder Solar plus Wind) werden an einem Netzanschlusspunkt gebündelt. Da sie selten gleichzeitig volle Leistung bringen, muss das Netz weniger stark ausgebaut werden.

  • Kapazitätsbasierte Netzentgelte: Nicht nur die verbrauchte Strommenge zählt, sondern auch die höchste Leistung, die man gleichzeitig nutzt. Wer beispielsweise sein Elektroauto mit sehr hoher Ladeleistung lädt, zahlt mehr als bei langsamer Ladung.

  • Baukostenzuschuss: Einmalige Zahlung des Betreibers einer Anlage an den Netzbetreiber, um den Anschluss und Netzausbau zu finanzieren.

 

Politisch heikler ist der Satz, dass zusätzliche Kosten "wo immer möglich" durch Erdverkabelung vermieden werden sollen. Dies war bereits bei den Koalitionsverhandlungen ein Streitpunkt. Am lautesten sperrt sich derzeit das SPD-geführte Niedersachsen gegen eine Abschaffung des Erdkabelvorrangs bei neuen Übertragungsnetzen. "Der Erdkabelvorrang ermöglicht überhaupt erst die Akzeptanz für den Stromnetzausbau", sagte Ministerpräsident Olaf Lies in einem ZfK-Interview. "Freileitungen – zumal in ohnehin durch die Energiewende räumlich schon erheblich betroffenen Regionen – würden so viel Widerstand auslösen, dass die Planungen und der Bau der Leitungen erheblich verzögert würden."

Debatte um Offshore-Ausbau

Auch Reiches Korrekturen bei Windkraft auf See treffen in Norddeutschland auf Widerstand. Im Zehn-Punkte-Plan ist von nötigen Anpassungen bei Netzanbindungen zu Windkraftanlagen auf See und Übertragungsnetzen die Rede, die erneuerbaren Strom vom Norden in den Rest des Landes transportieren sollen. Bekanntlich ist der Anschluss von Offshore-Windkraftparks verhältnismäßig teuer.

Derzeit sollen in Deutschland laut Gesetz bis 2045 mindestens 70 Gigawatt (GW) Windenergieanlagen auf See installiert sein. Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) hält dies für zu hoch gegriffen. Aus seiner Sicht sind rund 50 GW kosteneffizienter. Laut der Plattform Energy-Charts sind derzeit gut 9 GW in Deutschland installiert.

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig warnte davor, beim Bau von Windkraftanlagen auf See massiv zu sparen. Offshore-Windparks vor den Küsten fänden in der Bevölkerung viel mehr Akzeptanz und könnten zudem mit ihrer hohen Leistung einen großen Beitrag leisten zur sicheren Stromversorgung in Deutschland. "Die Pläne von Frau Reiche, weniger Offshore und mehr Onshore, gehen völlig in die falsche Richtung. Wir haben bei uns schon richtig Ärger vor Ort", sagte die SPD-Politikerin.

Streit um Strompreiszonenteilung

Ein weiterer, mindestens ebenso umstrittener Hebel zum Drücken von Netzausbaukosten wird im Reiche-Papier übrigens nicht genannt: eine Trennung der bundeseinheitlichen Strompreiszone. "Wir halten an einer einheitlichen Stromgebotszone fest", schrieben Union und SPD in den Koalitionsvertrag. "Die einheitliche Stromgebotszone bleibt erhalten", heißt es auch im Zehn-Punkte-Plan. Maria-Lena Weiss von der CDU sagte am Montag bei einer Diskussion: "In der Debatte werden auf beiden Seiten plausible Gründe für die Beibehaltung oder Abschaffung genannt. Aber es ist nicht dienlich, sich jetzt an diesem Punkt zu verhaken – da verlieren wir jetzt nur Zeit." Die Fronten seien zu weit auseinander. 

Bundesnetzagentur und Übertragungsnetzbetreiber wollen aktuelle Engpässe durch den konsequenten Ausbau der Stromnetze lösen. Vergangene Woche rügte die EU-Regulierungsbehörde Acer entsprechende Annahmen der europäischen Übertragungsnetzbetreiber allerdings. Eine vorgelegte Studie schätze Effizienzgewinne durch die Trennung der deutschen Strompreiszone zu gering ein. Acer beziffert den Nutzen einer Teilung auf 450 bis 540 Millionen Euro pro Jahr. Das wären 70 Prozent mehr.

Kurzfristig öffnet die schwarz-rote Koalition die Staatsschatulle, um die Netzkosten für Verbraucher zu dämpfen. 6,5 Milliarden Euro will sie im nächsten Jahr zuschießen. Derselbe Betrag soll nach Angaben des Wirtschaftsministeriums auch in den Folgejahren fließen. Gesetzlich verankert wird dies allerdings bislang nicht. Damit verstärkt sich die Abhängigkeit der Stromwirtschaft von jährlichen Zuweisungen aus der Staatskasse.

Dabei zeigte eine Studie des Analysehauses Consentec im Auftrag des Energieverbands BDEW jüngst, wie groß der Handlungsdruck auch mit Blick auf Endkunden ist. Demnach müssen Verbraucher in den nächsten Jahren mit einem "signifikaten Anstieg der Netzentgelte" rechnen. Im Jahr 2045 wären es im Schnitt rund 20 Cent pro kWh – und damit fast doppelt so viel wie aktuell.

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