"Politik kann in den seltensten Fällen dazu da sein, Probleme zu lösen. In den meisten Fällen muss sie Dilemmata bewältigen." Dieses Zitat von Friedemann Schulz von Thun beschäftigt mich in diesem politischen Herbst 2025. Die Erwartungen sind hoch und die Ankündigungen vielfältig – auch im Energiebereich.

Mit der Veröffentlichung des lang erwarteten Monitoringberichts und des Zehn-Punkte-Plans hat das Bundeswirtschaftsministerium den ersten großen Aufschlag bereits gemacht. Die ersten Schlüsselmaßnahmen sollen nach Energiestaatssekretär Frank Wetzel noch in diesem Jahr in Gesetze gegossen werden.

Prall gefüllte Energieagenda

Doch auch sonst ist die Agenda prall gefüllt: Die Bundesregierung hat bereits wichtige Maßnahmen angestoßen: Genehmigungsverfahren für Windkraft, Geothermie und Wärmepumpen sollen beschleunigt werden. Die Stromsteuer soll gesenkt, die Übertragungsnetzentgelte bezuschusst und die Gasspeicherumlage abgeschafft werden – wenn auch nicht für alle gleichermaßen. In Summe sprechen wir über zweistellige Milliardenbeträge allein für das Jahr 2026. Mit all dem wird sich der Bundestag jetzt – nach Beendigung der Haushaltswochen – beschäftigen.

Wir gelangen, so scheint es, in diesem politischen Herbst das erste Mal unübersehbar und merklich an den Punkt, wo wir noch nie waren, an Sollbruchstellen, an denen ein altes System mit einem neuen unangenehm kollidiert. Und das bedeutet Dilemmata, also weniger eindeutige Lösungen, mehr Abwägen, mehr Priorisieren, mehr Navigieren durch Zielkonflikte: Versorgungssicherheit, Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit stehen nicht additiv nebeneinander, sie stehen in einem Spannungsverhältnis. Jede Bewegung in die eine Richtung erzeugt Druck in einer anderen. Wer hier einfache Antworten verspricht, verwechselt politische Realität mit Wunschdenken.

Jahrzehnte der Unterfinanzierung zentraler Infrastrukturen

Ein Teil der Wahrheit ist: Wir haben Jahrzehnte der Unterfinanzierung zentraler Infrastrukturen hinter uns. Deshalb ist die Aufholjagd jetzt besonders teuer und voraussetzungsvoll. Zugleich sind die Spielräume des Bundeshaushalts begrenzt. Und auf globaler Ebene erleben wir eine geopolitische Lage, die Energiefragen noch stärker zu einem Sicherheits- und Standortthema macht.

Was folgt daraus? Erstens: Wir brauchen energiepolitische Substanz statt Schlagworte. Deutschland und die EU verfügen nicht über billige Energieressourcen. Wir sollten unsere Stärken daher verantwortungsvoll bündeln, statt uns argumentativ und regulatorisch in Detailfragenregelungen zu zerfleddern. Und dabei dürfen wir auch gern einmal über den Tellerrand schauen, denn da gibt es vielfältige Lösungen bei unseren Nachbarn, von denen man lernen kann. Man denke nur an Skandinavien, wo es bereits flächendeckend Smart Meter gibt.

Kuchen größer machen als ihn kleiner zu schneiden

Zweitens – und das ist vielleicht die größte Herausforderung: Wir müssen lernen, in Dilemmata kooperativ zu navigieren. Statt sich an vorgefertigten Meinungen abzuarbeiten, braucht es Debattenräume, in denen Argumente zählen. "Den Kuchen größer machen" statt ihn immer kleiner zu schneiden.

Dieser Gedanke ist nicht nur ökonomisch, sondern auch demokratisch. Transformation beginnt da, wo scheinbare Widersprüche konstruktiv integriert werden. Das klingt auf dem Papier schön, ist aber ein hartes Ringen in der Realität. Ein Beispiel ist, sich von der Überregulierung zu lösen, die in einen Zielkonflikt zu drohen gerät, sich gegenseitig zu behindern oder gar auszuschließen und damit wieder polarisierender Kommunikation eine Steilvorlage gibt.

Ich wünsche mir also für diesen politischen Herbst, dass es um energiepolitische Substanz und nicht um die Zementierung vorgefertigter Meinungen geht. Die anstehenden Entscheidungen, sei es zum Energiewirtschaftsgesetz, dem Messstellenbetriebsgesetz oder zum Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sind zu weitreichend, als dass wir nach schnellen Gewinnen suchen sollten. Und neue Novellen sind bereits angekündigt, wo wir die aktuellen Vorschläge noch diskutieren. Kraftwerkssicherheitsstrategie, Kapazitätsmarkt, Gebäudeenergiegesetz, Stromnetze und die Neuordnung der Netzentgelte, die Liste der anstehenden politischen Reformen lässt sich fortführen.

Diese Reformen werden zum Lackmustest, nicht nur im Bundestag, sondern auch zwischen Bundestag, Bundesrat und Regierung sowie der Presse. Denn im Unterschied zu vielen anderen Politikfeldern steht in der Energiepolitik nicht nur eine Zahl im Bundeshaushalt auf dem Spiel, sondern die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Warum also nicht einmal wieder den Kuchen größer machen?

Unsere Kolumnistin Constanze Adolf ist Senior Managerin bei Items, einem Dienstleister für die Energiewirtschaft. In der Kolumne "Megawatt & Paragrafen" bringt die promovierte Politologin regelmäßig auf den Punkt, was Stadtwerke, Netzbetreiber und kommunale Entscheider über neue Gesetze, Verordnungen, politische und energiewirtschaftliche Trends wirklich wissen müssen.

Frühere Kolumnen im Überblick:

Gas-Lieferantenwechsel in 24 Stunden: Schwarz-roter Vorstoß im Realitätscheck

Paradigmenwechsel bei Speichern: Was im neuen BNetzA-Aufschlag steckt

Messstellenbetriebsgesetz 2025: Präzisierungen mit Licht und Schatten

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