Von Andreas Baumer

Satz für Satz lässt sich Katherina Reiches Kraftwerksstrategie besser erahnen. Beim VKU-Stadtwerkekongress sprach die CDU-Wirtschaftsministerin von zwölf Gigawatt (GW) Leistung an Sprinterkraftwerken, die Deutschland noch bis zum nächsten Jahr ausschreiben müsse. Dies entspricht damit eins zu eins den 12 GW an Gaskraftwerksleistung, die auch Reiches Amtsvorgänger Robert Habeck (Grüne) ausschreiben lassen wollte (geplant waren dort außerdem 0,5 GW für reine Wasserstoffkraftwerke und 0,5 GW für Langzeitspeicher).

Bis Jahresende müsse das Ausschreibungsdesign klar sein, damit die Zuschläge noch vor dem Sommer 2026 erteilt werden könnten, sagte Reiche. "Das ist wichtig, um bis 2030 Kapazität errichten zu können."

Ambitionierter Zeitplan

Wie realistisch der neue Zeitplan ist, sei mal dahingestellt. Bislang gibt es noch nicht einmal einen ersten Ministeriumsentwurf, den die Branche begutachten könnte. Bis ein neuartiges Gesetz solcher Tragweite Bundeskabinett und Parlament passiert, vergehen in der Regel mehrere Monate. Danach wird sich sicherlich auch noch die Bundesnetzagentur ihre Zeit nehmen, um das Ausschreibungsdesign zu konsultieren.

Dazu kommt, dass man bei neuen Gaskraftwerken in der Regel von einer Bauzeit von mindestens vier Jahren spricht. 2030 ist damit eigentlich nicht mehr zu halten, zumal der gleichzeitige Bau von umgerechnet 24 großen Gaskraftwerken ein in Deutschland wohl einmaliger Vorgang wäre.

Versorgungssicherheit versus Vergrünung

Doch noch etwas anderes aus Reiches Vortrag am Mittwoch war bemerkenswert. Die Ministerin erzählte, dass die EU-Kommission die Versorgungssicherheit als Grund für einen geförderten Kraftwerksneubau für "sehr, sehr relevant" halte. Sie verwies darauf, dass auch die Bundesnetzagentur in ihrem Versorgungssicherheitsbericht den Zeitraum zwischen 2031 und 2036 als kritisch aufgezeigt habe.

Heißt im Klartext: Anders als noch ihr Amtsvorgänger Habeck will Reiche wohl überwiegend Gaskraftwerke zur Absicherung der Versorgungssicherheit bauen lassen. Bei Habeck war der Großteil der geförderten Menge noch für die Dekarbonisierung, sprich Vergrünung der deutschen Stromerzeugung reserviert.

Was wie ein juristisches Fingerspiel klingt – schließlich werden neue Gaskraftwerke als Ersatz von Kohlekraftwerken sowohl die deutsche Stromerzeugung vergrünen als auch zur Versorgungssicherheit beitragen – hat finanziell erhebliche Folgewirkungen. Denn Förderkosten für Gaskraftwerke, die als Dekarbonisierungsinstrument genehmigt werden, können vom Staat selbst getragen werden. Im Klima- und Transformationstitel wurde dafür extra ein Haushaltstitel eingerichtet.

Bei Gaskraftwerken, die als Instrument der Versorgungssicherheit genehmigt werden, lässt das europäische Recht dies nicht zu. Dort müssen angefallene Förderkosten per Umlage an die Stromverbraucher weitergereicht werden. Keine guten Aussichten für stromintensive Unternehmen, die schon jetzt über zu hohe Energiepreise klagen.

Keine guten Aussichten auch für Privathaushalte, denen eine Stromsteuersenkung aus Haushaltsgründen verwehrt wurde und die von der Senkung der Übertragungsnetzentgelte nur wenig profitieren.

Reiche will "schlanke", "schnelle" erste Ausschreibungen

Zugegeben: Auch Reiche möchte einen Teil der Gaskraftwerke als Instrument der Dekarbonisierung genehmigen lassen, wie sie beim Stadtwerkekongress ausführte. Zudem gehe es darum, die ersten Ausschreibungen so zu designen, dass sie "schnell und kosteneffizient" seien. Das sei wichtig. Denn: "Wir nehmen gerade enorm viel Steuergeld in die Hand, um hohe Energiepreise runterzubringen". Würde die Bundesregierung die Versorgungssicherheitskomponente maximal teuer ausschreiben lassen, würden die Strompreissubventionen an anderer Stelle verpuffen, gab die Ministerin zu bedenken.

Deshalb müssten die ersten Ausschreibungen "schlank" und "schnell" sein und auf Technologien setzen, die bereits am Markt seien. Heißt aber auch: Bei diesen Ausschreibungen kann es sich eigentlich nur um Gaskraftwerke handeln, die als Instrument der Versorgungssicherheit genehmigt werden. Denn bei Gaskraftwerken, die die Dekarbonisierung beschleunigen sollen, legt die EU-Kommission strengere Kriterien an. In der Habeck-Version hätten die Kraftwerke zum achten Betriebsjahr von Erdgas zu Wasserstoff wechseln müssen.

Auf die Kraftwerksstrategie soll übrigens ein Kapazitätsmechanismus folgen. Auch darauf ging Reiche beim Stadtwerkekongress ein. "Gesicherte Leistung im Kapazitätsmarkt heißt natürlich nicht nur Gaskraftwerke. Das heißt auch Biomasse, Speicher und Flexoptionen." Ein Kapazitätsmechanismus heißt außerdem, dass anfallende Kosten auf jeden Fall vom System selbst getragen werden müssen, per Stromumlage oder auf indirekte Weise. Das Thema wird Deutschland also noch eine Weile begleiten.

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