"Niedrigere Ziele keine Lösung": SPD-Umweltminister kontert Reiche
Von Andreas Baumer
Neun Tage hat sich Bundesumweltminister Carsten Schneider Zeit genommen, um auf die energiepolitischen Vorstöße seiner Kabinettskollegin, Katherina Reiche, ausführlicher zu reagieren. Schneider gilt im Bundeskabinett bei Energiefragen als SPD-Korrektiv zur CDU-Wirtschaftsministerin. In einem "Handelsblatt"-Gastkommentar stellte er nun klar: "Die Energiewende ist ein weltweiter Megatrend." Deutschland müsse hier einer der Vorreiter bleiben. "Ein politischer Schlingerkurs würde daher zu erheblichen Mehrkosten führen."
Konkret forderte er einen beschleunigten Netzausbau, der sich am notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien orientiere. In Reiches Zehn-Punkte-Papier war demgegenüber von einem netzfreundlichen Zubau von Erneuerbare-Energien-Anlagen zu lesen.
Kapazitätsmarkt und CO2-Abscheidung
Laut Schneider werden überdies steuerbare Leistungen in Form verschiedener Erzeugungstechnologien und Speicher gebraucht. "Der nächste wichtige Schritt ist daher ein Kapazitätsmarkt. Dabei nur auf reine Gaskraftwerke zu setzen, wäre keine nachhaltige Lösung, sondern eine klimapolitische Sackgasse."
Tatsächlich spielt ein Kapazitätsmarkt auch in Reiches Programm eine große Rolle. Wörtlich heißt es dort: "Ausschreibungen für flexible Grundlastkraftwerke, insbesondere Gaskraftwerke mit Umstellungsperspektive auf Wasserstoff, werden priorisiert und pragmatisch gestaltet. Der technologieoffene Kapazitätsmarkt wird möglichst noch 2027 eingeführt und garantiert Investitions- und Planungssicherheit für alle Marktakteure."
Klar positioniert sich Schneider auch zum Thema CO2-Abscheidung bei Gaskraftwerken. Neue Gaskraftwerke müssten für den Wasserstoffeinsatz bereit sein, schreibt er. "Die Abscheidung von CO2 und dessen anschließende Speicherung ist für Gaskraftwerke heute und in absehbarer Zukunft keine wettbewerbsfähige Technologie."
Wie groß hier die Unterschiede zum CDU-geführten Wirtschaftsministerium sind, ist schwer zu sagen. Teile der Union würden aus Kostengründen gern auch Gaskraftwerke mit CO2-Abscheidung für Kraftwerksausschreibungen zulassen. Das Wirtschaftsministerium hat sich dazu noch nicht eindeutig positioniert. Der Einsatz der Technologie bei Gaskraftwerken soll durch das CO2-Speichergesetz zumindest erlaubt werden.
Gaskraftwerke: Klarstellung durch Reiche-Staatssekretär
Beim Ostdeutschen Energieforum stellte Reiches Staatssekretär Frank Wetzel klar, dass es beim Bau neuer Gaskraftwerke nicht um eine fossile Renaissance gehe. "Die Kraftwerksstrategie der Bundesregierung trägt zum Klimapfad bei", sagte er. "Gaskraftwerke ersetzen Kohlekraftwerke und ineffiziente Gaskraftwerke. Und wenn sie nicht kommen, gibt es ein Problem mit der Versorgungssicherheit. Dann funktioniert auch der Zubau der Erneuerbaren nicht."
Wetzel erinnerte zudem daran, dass nach jetzigem Stand die CO2-Zertifikate in den 2030er-Jahren auslaufen würden. "Neu zugebaute Gaskraftwerke müssen auf Wasserstoff umstellen oder 2045 klimaneutral sein."
Wasserstoff-Streit
Klare Kante zeigte Schneider ferner beim Wasserstoff. Mit öffentlichem Geld will er ausschließlich Wasserstoff auf Basis erneuerbarer Energien, besser bekannt als grüner Wasserstoff, fördern. "Niedrigere Ziele sind auf diesem Weg übrigens keine Lösung", ergänzt der Umweltminister.
Kabinettskollegin Reiche hatte in ihrem Programm angekündigt, die aktuellen Elektrolyseur-Ausbauziele durch "flexible Ziele" zu ersetzen. Diese sollten sich an konkreten Projekten auf Nachfrageseite in Deutschland orientieren.
Laut Energiewende-Tracker des Ariadne-Projekts waren im vergangenen Jahr 0,2 Gigawatt (GW) Elektrolyseleistung in der Bundesrepublik installiert. Bis 2030 sollen es nach der Nationalen Wasserstoffstrategie mindestens 10 GW werden.
Schneider reagierte mit seinem Gastbeitrag wohl auch auf wachsenden Unmut in seiner eigenen Partei. In SPD-Kreisen wird Reiche eine "Abrissbirnenrhetorik" vorgeworfen. Der CDU-Politikerin wird zudem vorgehalten, sich mit ihrem Zehn-Punkte-Plan teilweise deutlich von Erkenntnissen des wissenschaftlich erstellten Energiewendemonitorings abgesetzt zu haben.
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