Gaspreise: Reiche-Abteilungsleiter erklärt, wo er das größte Risiko sieht

Von Andreas Baumer

Auf den ersten Blick hat die deutsche Erdgaswirtschaft aus der großen Abhängigkeit von russischem Gas nur wenig gelernt. War es bis ins Jahr 2022 der Koloss im Osten, der allein für rund die Hälfte der Gasimporte in die Bundesrepublik verantwortlich war, nimmt diese Position nun nahezu gleichwertig Norwegen ein. Aktuell beziehe Deutschland knapp 50 Prozent seines Gases aus dem skandinavischen Land, sagte Bernhard Kluttig, der für Versorgungssicherheit zuständige Abteilungsleiter des Bundeswirtschaftsministeriums, bei der Handelsblatt-Gastagung. "Insofern ist ein gewisses Klumpenrisiko da."

Und doch sieht Kluttig einen großen Unterschied zu Russland. Schließlich ist Norwegen, eine kleine, stabile Demokratie, in den vergangenen Jahren weder mit militärischen Drohgebärden aufgefallen noch mit Expansionsgelüsten. Norwegen sei auch ein zuverlässiger Gaslieferant, betonte er. "Was das Risiko ist, ist die Infrastruktur. Gerade, was Attacken auf Infrastruktur anbelangt, müssen wir sehr wachsam sein."

Hier hat die Bundesregierung aus Kluttigs Sicht noch "eine ganze Menge zu tun". Es komme darauf an, dass man Verantwortungen von Betreibern kritischer Infrastrukturen mit denen der Sicherheitsbehörden verschränke. "Wir sind hier noch ein bisschen hinter der Kurve und können hier noch eine ganze Menge von unseren nordischen Partnern wie Finnland und Norwegen lernen."

Drei Gaspipelines zwischen Norwegen und Deutschland

Ende August hatte das Bundesinnenministerium eine Neufassung des Kritis-Dachgesetzes vorgelegt, das Mindeststandards für den Schutz kritischer Infrastruktur festlegt. Das Vorhaben wurde mittlerweile vom Bundeskabinett verabschiedet.

Mit Norpipe, Europipe I und Europipe II transportieren aktuell drei Pipelines norwegisches Gas in die Bundesrepublik. Würden sie infolge eines Angriffs beschädigt werden oder gar ganz außer Betrieb gehen, würde das die Versorgungssicherheit in Deutschland massiv beeinträchtigen.

Doch auch hier beschwichtigte Kluttig. Anders als noch 2022 kann Deutschland auch über eigene Terminals Flüssigerdgas beziehen. "2028 werden wir rund 45 Prozent unseres jährlichen Gasbedarfs über LNG-Terminals decken können", sagte der Spitzenbeamte. "Insofern haben wir alle Möglichkeiten, uns hier aus Resilienz-Gesichtspunkten zu diversifizieren."

Gaspreise seit Wochen unter 40 Euro pro MWh

Tatsächlich deutet die aktuelle Lage auf den Gasmärkten auf einen eher entspannten Winter hin. Seit Wochen befindet sich der Leitindex TTF für den Folgemonat deutlich unter 40 Euro pro Megawattstunde (MWh). Den letzten größeren Ausschlag nach oben gab es, als Israel im Juni einen Kurzkrieg gegen den Iran vom Zaun brach. Am Dienstagvormittag kostete die Megawattstunde gerade einmal 32 Euro pro MWh.

Auch die Lage am Gasspeichermarkt entwickelt sich – ganz ohne staatlich angeordnete Gaseinkäufe – mittlerweile positiv. Im Durchschnitt waren die Speicher zuletzt zu 75 Prozent gefüllt. Nehme man die Buchungen dazu, seien es sogar mehr als 80 Prozent, sagte Kluttig. Er gehe davon aus, dass man am 1. November bei 80 Prozent liegen werde.

Laut Gesetz müssten zum 1. November eigentlich bereits 90 Prozent erreicht werden. Allerdings lockerte die rot-grüne Minderheitsregierung in ihren letzten Amtstagen per Verordnung diese Vorgaben. Demnach müssen alle Kavernenspeicher bis dahin lediglich zu 80 Prozent voll sein. Bei Porenspeichern genügen im Regelfall 45 Prozent.

Kluttig will mehr langfristige Verträge

Die konkrete Beschaffungsstrategie der beiden großen deutschen Gasimporteure Uniper und Sefe, die beide in staatlicher Eigentümerschaft sind, wollte Kluttig nicht kommentieren. Allgemein warb er allerdings dafür, verstärkt auf langfristige Lieferverträge statt auf den Kurzfristmarkt zu setzen.

Dabei erweist sich bislang die EU-Methanverordnung als ein Hemmnis. Aus Sicht des Energieverbands BDEW sind die Anforderungen für viele Produzenten und Lieferanten außerhalb Europas kurzfristig kaum umsetzbar. Denn wegen komplexer Lieferketten fehlten Importeuren vielfach die Möglichkeiten, Daten bis zum Produzenten zurückzuverfolgen. "Dies erschwert insbesondere den Abschluss langfristiger Neuverträge ab 2027, die politisch gewünscht sind, um Versorgungssicherheit und Diversifizierung zu gewährleisten", schreibt der BDEW.

Im Wirtschaftsministerium ist diese Warnung offenbar angekommen. "Da müssen wir als Bundesregierung in der Umsetzung der Methanverordnung Acht geben, dass wir nicht mit dem Hintern einreißen, was wir mit den Händen aufgebaut haben."

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