Interview mit Tim Meyer: Deshalb glaubt er an das Gelingen der Energiewende

Tim Meyer ist genervt. Genervt davon, dass die Diskussion um Energiewende in Deutschland "so unfassbar politisch" ist. Damit gehe sie an ganz vielen Stellen energiewirtschaftlichen und industriellen Logiken zuwider. Der ehemalige Vorstand von Naturstrom und heutige Berater hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, möglichst vielen Menschen die Energiewende zu erklären. Jetzt rechnet er in seinem Buch "Strom: Über Nostalgie, Zukunft und warum der Markt längst entschieden hat" mit der politischen Debatte über die Energiewende ab.

Herr Meyer, ihr Buch heißt "Strom" und nicht etwa »Strom und grüne Gase«. Sie erklären Strom zur hochwertigsten Form der Energie, warum?
Es ist mittlerweile technoökonomisch weitgehend unumstritten, dass Strom in den meisten Bereichen das Mittel der Wahl für klimaneutrale kosteneffiziente Energie ist. Mit Elektrifizierung vermeiden wir Verbrennung, die von Natur aus hochgradig ineffizient ist.

Der bemerkenswerte Punkt ist also: In den meisten Anwendungen ist Strom aus technoökonomischer Sicht die überlegene Energieform. Die entscheidende Frage lautet daher nicht mehr ob, sondern nur noch: Wie stellen wir ausreichend klimaneutralen Strom her?

Frau Reiche möchte jetzt die Energiewende kosteneffizienter gestalten.
Es stimmt: Die Energiewende ist derzeit nicht kosteneffizient. Doch wenn heute unter dem Schlagwort "Kosteneffizienz" eine Verlangsamung gefordert wird, geht es meist darum, alte Geschäftsmodelle zu schützen. Natürlich ist es für viele Kommunen eine enorme Belastung, gleichzeitig Stromnetze auszubauen, Gasnetze zurückzubauen und Wärmenetze aufzubauen. Aber das darf nicht zu einer Rolle rückwärts führen. Stattdessen brauchen wir klare Instrumente, schlankere Strukturen und eine gesicherte Finanzierung. Nur so wird die Energiewende wirklich kosteneffizient.

Wo würden Sie bei der Kosteneffizienz ansetzen?
Die Prozesse im Verteilnetz sind extrem aufwendig, es gibt eine zersprengte Softwarelandschaft und fast individuelle Prozesse. Das treibt Kosten in die Höhe und überfordert sowohl Netzbetreiber als auch Marktakteure. Hinzu kommt: Wir haben den regionalen Abgleich von Erzeugung, Netz und Verbrauch bisher zu wenig beachtet.

Doch all das ist kein Argument für ein Bremsen, sondern für eine Beschleunigung. Denn nur mit einer Modernisierung der Netze und einem schnelleren Hochlauf von Elektrifizierung, etwa in Mobilität und Wärme, können wir Effizienz und Flexibilität schaffen. Mehr E-Mobilität, Batteriespeicher und flexible Verbraucher senken die Kosten der Energiewende, weil sie Überkapazitäten und negative Strompreise vermeiden.

Sie schreiben auch über Desinformation in der öffentlichen Debatte. Was ist im Moment die größte Lüge?
Im vergangenen Wahlkampf haben wir eine massive Welle von Desinformation erlebt – etwa zur Elektromobilität oder zum Gebäudeenergiegesetz. Die Botschaft lautet oft: "Ihr müsst gar nichts ändern, euer Auto bleibt, eure Heizung bleibt, alles bleibt." Das ist fatal, denn technoökonomisch ist klar: So wird es nicht funktionieren. Solche Narrative verunsichern Menschen und stärken Beharrungskräfte.

"Solche Formulierungen vermitteln den Eindruck, Politik löse das schon, die Bürger müssten sich nicht umstellen."

Auch heute wirkt diese Welle nach. Da wird im Koalitionsvertrag von "defossilisiertem Gas" gesprochen, ohne, dass klar wäre, was das eigentlich sein soll. Solche Formulierungen vermitteln den Eindruck, Politik löse das schon, die Bürger müssten sich nicht umstellen. Doch das ist gefährlich: Statt uns selbstzufrieden zurückzulehnen, sollten wir die Energiewende als Modernisierungsprogramm verstehen – mit Investitionen und Chancen für neue Infrastruktur.

Infrastrukturpolitik braucht klare Entscheidungen. Wir können uns keine drei parallelen Systeme leisten. Ökonomisch liegt es längst auf der Hand: weniger Gas, mehr Strom. Wer das mit dem Schlagwort »Technologieoffenheit« auf die lange Bank schiebt, verlangsamt den Umbau – und schadet Wirtschaft und Gesellschaft.

Wenn man ihr Buch liest, bekommt man noch Hoffnung, dass die Energiewende gelingen kann. Warum denken Sie so?
Die Energiewende ist weder ein technisches noch ein Kostenproblem. Alle Alternativen zu einem 100 Prozent erneuerbaren Energiesystem wären am Ende teurer, Energie muss klimaneutral sein, daran führt kein Weg vorbei. Hoffnung gibt mir die enorme Dynamik: Die industrielle Transformation läuft weltweit schneller, als viele je erwartet hätten. Selbst hartnäckige Beharrungskräfte können diese Entwicklung kaum noch aufhalten.

"Wir können Schlüsseltechnologien bereitstellen und zugleich enorme Summen sparen."

Für Deutschland eröffnet das eine große Chance: Wir können Schlüsseltechnologien bereitstellen und zugleich enorme Summen sparen, weil fossile Energieimporte wegfallen.

Wo sehen Sie die größten Hebel?
Was uns derzeit noch bremst, sind zwei Dinge: Erstens ein gesellschaftlicher Kulturkampf, der den notwendigen Wandel verzögert. Und zweitens eine überkomplexe Regulierung mit kleinteiligen Strukturen, die Innovation und Effizienz behindern. Wenn wir beides überwinden, dann kann die Energiewende nicht nur gelingen, sondern auch zu einem Modernisierungs- und Wachstumsprogramm für Deutschland werden.

Wichtigste Auslassung im Monitoringbericht: Es gibt kein Wort darüber, wie die Elektrifizierung von Mobilität, Wärme und Industrie beschleunigt werden sollen. Dabei sind genau hier die Pfadabweichungen beim Stromverbrauch entstanden.

Das Interview führte Pauline Faust.

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