Energiewendemonitoring: Warnung vor "Deutsche-Bahn-Effekt" – die Reaktionen

Von Lucas Maier 

Der von Verbänden und Energiebranche lang erwartete Monitoringbericht zum Stand der Energiewende ist am Montag vom Bundesministerium für Wirtschaft (BMWE) veröffentlicht worden. Neben einer Einordnung durch die federführenden Wissenschaftler der Institute BET und EWI äußerte sich auch die Wirtschaftsministerin Katherina Reiche zu den Ergebnissen.

Hierfür hatte die CDU-Politikerin einen Zehn-Punkte- Plan verbreitet. Auf dieser Basis will sie auf die Ergebnisse des Monitoringberichts reagieren. Was konkret in dem Punkteplan und dem Bericht selbst steht, lesen Sie hier. In der Folge der Veröffentlichung meldeten sich verschiedene Verbände mit ihrer Einschätzung zum Monitoring zu Wort. Auch aus den Reihen der Politik wurden erste Einschätzungen geteilt. Eine Übersicht:

Große Energieverbände zuversichtlich

Der Verband der kommunalen Unternehmen (VKU) begrüßt den Monitoringbericht laut einer Stellungnahme ausdrücklich. "Alle Unkenrufe, dass die Energiewende nun abgewickelt werde, waren nicht nur verfrüht, sondern auch falsch. Das Gegenteil ist richtig: Die Klimaziele gelten weiter, genauso wie der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Netzausbau und die Aktivierung von dezentralen Flexibilitäten als notwendige Grundlage einer erfolgreichen Energiewende", sagte Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing. Der Bericht zeige eindrücklich, dass es eine "ganzheitliche Energiepolitik mit Weitblick" brauche. Es gebe viel Potenzial für mehr Kosteneffizienz.

Die im Bericht skizzierten Handlungsfelder würden von den kommunalen Unternehmen unterstützt werden. "Jetzt ist politischer Wille und Tempo nötig, damit wir aus der Analyse zügig in die konkrete politische Umsetzung von Empfehlungen kommen", sagte Liebing weiter. Eine ähnliche Einordnung kommt vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).  "Der Monitoringbericht ist ein überzeugender Angang, der vieles wiedergibt, was wir bereits vorbereitet haben", sagte Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung.

Positiv hebt Andreae hervor, dass die Ministerin einen technologieoffenen Kapazitätsmarkt bereits ab 2027, unterstützende Regulierungen für den Wasserstoffhochlauf, sowie den Bau von H2-Ready Kraftwerken in Aussicht gestellt hat. Der BDEW erwarte bei der Umsetzung eine enge Einbeziehung der Branche. Auch vom VKU heißt es: "Die kommunalen Unternehmen stehen für die konstruktive Umsetzung zur Verfügung."

Verband warnt vor "Deutsche-Bahn-Effekt"

Der BDEW merkt noch kritisch an, dass es sich bei dem prognostizierten Strombedarf lediglich um eine Momentaufnahme handle. Mal solle besser auf eine anwachsende Stromnachfrage vorbereitet sein. Zudem dürfe man beim Ausbau der erneuerbaren Energiequellen jetzt nicht im Tempo nachlassen.

Beide Verbände befürworten eine starke Betonung des Netzausbaus und der Fokussierung auf die Modernisierung der Infrastruktur. Der VKU warnt, wenn im Rahmen des Nest-Prozesses kein Ausgleich von Netzbetreiber- und Verbraucherinteressen gelingen wird, sei die Energiewende nicht umsetzbar.

Der BDEW warnt vor einem sogenannten "Deutsche-Bahn-Effekt", also dass zu spät oder zu wenig in die notwendige Infrastruktur investiert wird. Das "darf uns nicht passieren", sagte Andreae. Konkret forderte der VKU" drastische Verbesserungen der Festlegungsentwürfe der BNetzA". Bei der Vorstellung des Berichts hieß es von Ministerin Reiche, dass man eng mit der Bundesnetzagentur (BNetzA) zusammenarbeite.

"Energiewende nicht mehr auf Kurs"

Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), hält eine Grundausrichtung beim Umbau des Energiesystems für dringend notwendig. Es müsse die Qualität des Zubaus der erneuerbaren Energiequellen in den Mittelpunkt gerückt werden, nicht die Quantität. "Ziel muss eine Energiewende sein, die Kosteneffizienz, Versorgungssicherheit und Klimaschutz sinnvoll austariert." Erneuerbare müssten konsequent in den Markt integriert werden, Ausbau sowie Erzeugung steuerbare gemacht werden. Das Auseinanderlaufen von Erneuerbaren-Kapazitäten und Netzausbau zeige, dass die Energiewende nicht mehr auf Kurs sei. Dafür brauche es einen spürbaren Kurswechsel. "Schlaraffenland ist abgebrannt."

Peter Adrian, der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer DIHK äußerte sich ähnlich. "Kleinere Anpassungen der aktuellen Energiewendepolitik reichen nicht aus. Um Klimaneutralität zu erreichen, ohne Wachstum und Wohlstand einzubüßen, müssen wir die Energiewende neu denken: Sie muss flexibler, kosteneffizienter und internationaler werden." Dazu gehöre laut DIHK eine übergreifende Netzplanung, ein drastischer Bürokratieabbau und ein effizienter Energiemix. Denn der aktuelle Kurs koste bis 2050 5,4 Billionen Euro. Adrian hofft: "Nach vielen Monaten des Stillstandes in der Energiepolitik muss das Energiewende-Monitoring nun den Startschuss für umfassende Reformen geben." Die grundlegende Neuausrichtung auf mehr Marktsignale befürwortet die DIHK.

Der Biogasrat+ e.V. zeigt sich in der Folge der Veröffentlichung des Berichts enttäuscht darüber, dass "die Potenziale der Energieerzeugung aus nachhaltiger Biomasse" nicht anerkannt werden. Auf der anderen Seite zeigt sich Janet Hochi, Geschäftsführerin Biogasrat+ e. V. jedoch zufrieden: "Der veröffentlichte Monitoringbericht zur Energiewende enthält grundsätzlich wichtige Aussagen zu den Vorteilen der Bioenergie als Garant für Versorgungssicherheit und erneuerbare Flexibilität." Politisch intendiert würden jedoch "die Potenziale der Bioenergie systematisch vernachlässigt bzw. 'kleingerechnet'". Hochi macht dafür in erster Linie den methodischen Ansatz des Monitorings verantwortlich. Der Rückgriff "auf vorhandene Studien und Daten" lasse mit Blick auf Biogasanlagen kein unabhängiges Monitoring zu.  

Der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) blickt gespalten auf den Bericht. „Positiv ist, dass das BMWE die Wasserstoff-Nutzung in allen Szenarien als wesentlich zur Erreichung der Treibhausgasneutralität bewertet. Auch die Vorteile der heimischen Wasserstoffproduktion, etwa durch die Möglichkeit zur sektorübergreifenden Nutzung von Flexibilitäten im Stromsystem, werden anerkannt", sagte Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender bei der DVGW. Außerdem hebt der Verband positiv hervor, dass das Deutschland eine Schlüsselrolle zugesprochen wurde und das "das Monitoring die Kombination von Elektrolyse, Wasserstoffspeicher und Rückverstromung für die saisonale Speicherung von Strom anerkennt ebenso wie den Beitrag, den regelbare, mit Wasserstoff betriebene Kraftwerke zur Versorgungssicherheit leisten können." 

Kritisch bewertet Linke hingegen, dass die "Potenziale im Gebäude- und im Verkehrssektor sowie das Gasverteilnetz als wichtiges Element der Energieinfrastruktur hingegen weiterhin als nicht signifikant eingestuft werden." Es würden die Potenziale, Wasserstoff auch über die vorhandenen Gasnetze zu verteilen, nicht gesehen. Gleiches gelte für mögliche Synergieeffekte zwischen Industrie und Wohnungsmarkt – werden Industriekunden über das Gasverteilnetz mit Wasserstoff versorgt, kann es den Standortfaktor auch für Wohngebeite erhöhen. "Das Gasverteilnetz mit einer Länge von über 500.000 Kilometern nicht ausreichend zu nutzen, bedeutet, Möglichkeiten zu verkennen und Chancen zu vergeben."

Kritische Töne aus der Opposition

Beim Thema Stromnetze ist die Fraktion der Grünen auf einer Linie mit der Wirtschaftsministerin. Michael Kellner, Sprecher für Energiepolitik, sagte: "Wir müssen die Stromnetze aus dem Zeitalter der Faxgeräte holen. Ein modernes, digitalisiertes Netz ist Voraussetzung dafür, dass Verbraucher*innen von Stromüberschüssen profitieren können." Generell fällt die Bewertung der Grünen jedoch weitaus kritischer aus als die der Branchenvertreter. Man habe immer noch Angst, dass die Energiewende abgebremst werde. "Ihr eigener Monitoringbericht empfiehlt Katherina Reiche, im Wesentlichen die erfolgreiche Energiewendepolitik ihres Vorgängers fortzuführen. Sie macht den Eindruck, sie wehrt sich mit Händen und Füßen gegen diese Erkenntnis der Wissenschaft."

Klar sei, dass der Strombedarf in den nächsten Jahren deutlich steigen werde. Über den Ausbau der erneuerbaren Energiequelle könnte man die Strompreise am Markt senken, sagte Kellner. Bei der Vorstellung des Berichts ging die Wirtschaftsministerin ebenfalls auf diesen Punkt ein. Dabei betonte sie, dass es eine falsche Annahme war, zu glauben, dass "Wind und Sonne keine Rechnung stellen würden". Damit spielte sie auf die mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien verbundenen höheren Kosten für Netze an. Vom Koalitionspartner SPD kommen versöhnlichere Töne. „Der Monitoring–Bericht liest sich als klare Aussage, die Ziele von mindestens 80 % Erneuerbare Energien bis 2030 nicht zu unterschreiten, auch mit Blick auf die Klimaschutzziele 2045", sagte energiepolitische Sprecherin, Nina Scheer. Reiche hatte bei der Vorstellung des Berichts mehrfach betont: "Wir wollen weiter am 80-Prozent-Ziel bis 2030 festhalten."

Mit Blick auf die Kraftwerksstrategie sagte Scheer: "Fossile Gaskraftwerke sind kein Selbstzweck, sondern müssen sich im Verhältnis zu anderen Optionen – Wasserstofffähigkeit, steuerbare Erneuerbare, Speicher und Flexibilitäten – rechtfertigen. Der Monitoring-Prozess enthält dabei keine Empfehlung für den Einsatz von CCS im Strommarkt." Frau Reiche sprach sich bei der Pressekonferenz am Vormittag jedoch stark dafür aus, CCS- und CCU-Anlagen auch bei Gaskraftwerken zu fördern. Ein strittiger Punkt in der Koalition. Die SPD hatte in der Vergangenheit mehrfach betont, dass die Technologien für Kohlestoffabscheidungen in erster Linie bei schwer vermeidbaren CO2-Quellen zum Einsatz kommen sollen, also beispielsweise bei der Zementherstellung oder in der Chemie-Industrie.

Die Aussagen des Monitorings zum Netzausbau bewertet Scheer ebenfalls positiv: "Wegweisend sollte die Aussage des Monitorings zur staatlichen Beteiligung an den Netzen aufgegriffen werden. Wie schon seit langem gefordert, ist es nicht zielführend, wenn ein über die kommenden Jahre konzentrierter Netz-Infrastrukturausbau allein von den heutigen Verbrauchern über die Netzentgelte geleistet wird. Der Netzausbau sollte in Anlehnung an den Straßenbau stärker als staatliche Aufgabe wahrgenommen werden." Insgesamt zeichne das Monitoring ein positives Bild der Energiewende. Es gäbe keinen Anlass für etwaige "Neuauflagen". Ministerin Reiche hatte im Gegensatz dazu, zuletzt immer wieder davon gesprochen, dass die Energiewende am Scheideweg stehe.

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