"Kein Plädoyer für Weiter so": Wer alles hinter Reiches Energieschwenk steht
Von Andreas Baumer
Es ist eher unwahrscheinlich, dass Donald Trump den 259 Seiten starken Energiewende-Monitoringbericht oder den daraus abgeleiteten Zehn-Punkte Plan der Bundeswirtschaftsministerin je gelesen hat. Der Energiepolitik der neuen Bundesregierung zollte der US-Präsident bei seiner Rede vor den Vereinten Nationen trotzdem "großen Respekt".
Deutschland habe grün werden wollen und sei dabei bankrott gegangen. "Dann kam eine neue Führung, die wieder zu fossilen Brennstoffen und Kernkraft zurückgekehrt ist."
Kretschmer: Weiter so "kann wohl nicht Konsequenz sein"
Tatsächlich hält Schwarz-Rot auch unter Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) an Atom- und Kohleausstieg fest. Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll auch unter ihr weitergehen. Und es bleibt dabei, dass Deutschland 2045 klimaneutral werden soll.
Und doch zog Reiche mit Aussagen wie der, dass sich die Energiewende an einem "Scheideweg" befinde, oder der, dass das Monitoring auf "eklatante Leerstellen" in der vorhandenen Zukunftsszenarien für die Energiewende hinweise, Zorn auf sich – insbesondere aus dem linken und grünen Lager. Von "Abrissbirnenrhetorik" war die Rede. Zugleich erhielt Reiche von einflussreichen Politikern und Branchenvertretern Rückendeckung.
Da ist Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der bereits im Landtagswahlkampf behauptet hatte: "Die Energiewende ist gescheitert". Der CDU-Politiker fühlt sich von Monitoring und Zehn-Punkte-Plan bestätigt. Jetzt einfach so weiter machen mit dem Ausbau von Strom-, Wasserstoff und CO2-Leitungen, "kann ja wohl nicht die Konsequenz sein, aus dem, was jetzt abgeleitet worden ist", sagte er beim Ostdeutschen Energieforum.
"Wir müssen schauen, dass die Ausbaukosten im Rahmen bleiben. Es ist absolut richtig und zwingend, dass wir die Erzeugung und den Verbrauch stärker zusammenbringen." Die Themen Netzdienlichkeit und Speicher müssten viel stärker in die künftige Energiepolitik einfließen.
VKU-Chef: "Kein Plädoyer für Weiter so"
Einen "Neustart für die Energiewende" hatte der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) bereits im Frühjahr gefordert. "Es geht um Veränderungen, aber nicht um eine Revolution", führte Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing nun im ZfK-Interview aus. "Die Wirtschaftsministerin hat auch nie von einer Revolution gesprochen. Sie hat von einem Scheideweg gesprochen. Und mit Verlaub: Auch unser Verband hält Kurskorrekturen für notwendig."
Niemand stelle das Ziel der Klimaneutralität infrage – weder sein Verband, noch die Gutachter, noch die Bundesregierung, stellte der Verbandschef klar. Alles diene dem Ziel, die Energiewende zum Erfolg zu bringen.
Wenn er jetzt aber mancherorts lese, dass der Monitoringbericht angeblich für die Fortsetzung des bisherigen Kurses plädiere, könne er das so nicht nachvollziehen. "Ich sehe im Bericht sechs Themenfelder, auf deren Basis sieben Handlungsfelder definiert werden, wo Änderungsbedarf besteht. Das unterfüttern die Gutachter mit 28 Handlungsoptionen. Das ist doch kein Plädoyer für ein weiter so."
Aus Liebings Sicht muss die Kosteneffizienz stärker in den Blick genommen werden. "Uns laufen ansonsten die Kosten aus dem Ruder. Wenn Stadtwerke sagen, dass sie ihr Verteilnetz in den nächsten Jahren verdoppeln oder sogar verdreifachen müssen, muss man sich schon fragen, ob das wirklich überall notwendig und sinnvoll ist", erklärt er. "Müssen wir wirklich die letzte Kilowattstunde einfangen und dafür die Netze ausbauen?"
Deutschland brauche mehr Stromnetze. "Aber zurzeit sind wir in einer Phase, in der wir ganz viel gleichzeitig machen müssen. Wenn allerdings ganz viel gleichzeitig gemacht wird, ist die Nachfrage groß und das Angebot knapp. Und das geht in die Preise."
DVGW-Chef: "Ziel ist grün, Weg ist bunt"
Warme Worte für Reiches Energiekurs kamen in den vergangenen Tagen auch vom Gas- und Wasserverband DVGW. "Das Monitoring ist keineswegs ein Abgesang auf die Klimaziele oder ein Alibi zur Verlangsamung der Transformation der Energiewirtschaft", sagte Verbandschef Gerald Linke. Zugleich stimme er mit der Wirtschaftsministerin darin überein, den Pfad bis zur Klimaneutralität technologieoffener als bisher zu gestalten. "Das Ziel ist grün, der Weg ist bunt."
Lesen Sie auch: DVGW-Chef: "In Deutschland reden wir schnell Themen kaputt"
Lob bekam Reiche zudem vom Verband der Chemischen Industrie (VCI), einer der energieintensivsten Branchen Deutschlands. Die Ministerin habe "zehn richtige Schlüsselmaßnahmen" vorgelegt, kommentierte VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. "Wir brauchen einen spürbaren Kurswechsel. Schlaraffenland ist abgebrannt."
Der Monitoringbericht decke die Probleme der Energiewende in der Vergangenheit "schonungslos" auf und ziehe die richtigen Schlüsse, fand wiederum Michael Vassiliadis, Chef der SPD-nahen Energie- und Chemiegewerkschaft IGBCE. "Er bestätigt in vielen Teilen unsere langjährige Kritik am Management der Transformation."
Lesen Sie auch: "Es macht einen Riesenunterschied, ob wir zu 100 oder 95 Prozent klimaneutralen Strom erzeugen"
Haseloff: Energiewende "weggeschossen"
Geradezu düster klang die Energiewende-Prognose von Sachsen-Anhalts scheidendem Ministerpräsident Reiner Haseloff beim Ostdeutschen Energieforum. Deutschland gehe in eine Versorgungslücke hinein, sagte der CDU-Politiker mit Blick auf den Versorgungssicherheitsbericht der Bundesnetzagentur.
Demnach könnte es zu einer Lücke am Strommarkt kommen, wenn die gesetzlichen Ziele der Energiewende nicht eingehalten werden. Dann könnte es 2030 zu seltenen Situationen kommen, in denen der Strommarkt die Nachfrage nicht vollständigen decken kann. In solchen Fällen müssten etwa zusätzliche Reserven außerhalb des Strommarkts eingesetzt werden.
Energiewende sei "weggeschossen" worden
Ob das mit der Energiewende bis 2045 überhaupt noch etwas wird, daran scheint Haseloff große Zweifel zu haben – Monitoring und Zehn-Punkte-Plan hin oder her. Die deutsche Energiewende sei "weggeschossen" worden, sagte der CDU-Politiker und verwies auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Aus seiner Sicht hätten Gaskraftwerke, die die Brücke zwischen Kohle und klimaneutralen Gasen bilden hätten sollen und Strom zu "vernünftigen Preisen" produzieren, nur dann eine Chance gehabt, wenn sie auf russisches Pipelinegas zurückgreifen hätten können.
Eine funktionierende Wasserstoffwirtschaft, die Erdgas als Energieträger ersetzen könnte, werde es erst gegen Ende dieses Jahrhunderts geben, sagte Haseloff weiter. "Wenn wir es überhaupt noch erleben in diesem Jahrhundert". Wasserstoff sei absehbar zu teuer und technologisch unausgereift, um eine Volkswirtschaft auf Dauer wettbewerbsfähig zu halten.
Anders als Reiche und Liebing, aber ähnlich wie Kretschmer stellte Haseloff zum Schluss auch noch das Klimaneutralitätsziel 2045 infrage. Das schaffe Deutschland, das auch eine energieintensive Industrie habe, nicht. "Das muss korrigiert werden."
Mehr zum Thema aus dem ZfK-Archiv:
Was gut ist und was fehlt: Stadtwerke-Welt bewertet Reiches Monitoring-Schlüsse
Monitoringbericht da: Wie Reiche den Energiewende-Kurs ändern will
"Niedrigere Ziele keine Lösung": SPD-Umweltminister kontert Reiche



