Kapazitätsmarkt 2027: Kritik und Ausblick
Von Lucas Maier
Im Zehn-Punkte-Plan, den Katherina Reiche (CDU) aus dem Monitoring zur Energiewende abgeleitet hat, findet sich die schnelle Implementierung eines technologieoffenen Kapazitätsmarktes. Die Idee ist keineswegs neu, die vorangegangene Ampel-Koalition hat das Vorhaben ebenfalls auf der Agenda – damals war eine Implementierung 2028 vorgesehen. Im Plan der Wirtschaftsministerin ist diese für 2027 angesetzt. Wo liegen die Kritikpunkte und wie realistisch ist das Vorhaben aus Berlin? – Eine Analyse.
Der Kapazitätsmarkt steht vor der Tür
In Reiches Zehn-Punkte-Plan heißt es: "Ausschreibungen für flexible Grundlastkraftwerke, insbesondere Gaskraftwerke mit Umstellungsperspektive auf Wasserstoff, werden priorisiert und pragmatisch gestaltet. Ziel ist dabei die Optimierung der Anreize für die kosteneffiziente Bereitstellung gesicherter Leistung."
Das Ganze steht unter Punkt vier: "technologieoffenen Kapazitätsmarkt schnell implementieren". Die Formulierung deutet darauf hin, dass sich die Wirtschaftsministerin für einen zentralen Ansatz ausspricht, doch was bedeutet das?
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Zentral oder dezentral?
In einem zentralen Kapazitätsmarkt bestimmt ein staatlicher Akteur das notwendige Niveau gesicherter Leistung und stellt diese über Ausschreibungen sicher. Ein Vorteil des zentralen Ansatzes ist laut Monitoringbericht, dass dieser wohl schneller implementiert werden könnte. Das belgische Modell wurde beispielsweise bereits von der EU-Kommission genehmigt. Orientiert sich Deutschland daran, könnte das den Genehmigungsprozess in Brüssel beschleunigen.
Fraglich ist, wie im zentralen Kapazitätsmarkt dezentrale Flexibilitäten eingebunden werden können. Gemeint ist zum Beispiel die Verschiebung des industriellen Strombedarfs vor Ort oder die Einbindung kleinerer Speicher. Denn im zentralen Markt müssen Anlagen in der Regel aufwändig und vorab nachweisen, dass sie im Notfall zuverlässig Strom bereitstellen können. Aus Sicht der Monitoring-Gutachter ist deshalb in anderen Modellen ein stärkerer Anreiz für treibhausgasneutrale Flexibilitäten denkbar.
Außerdem könnten beim zentralen Modell Mehrkosten anfallen, wenn der zentral ermittelte Bedarf zu hoch eingeschätzt würde. Der zentrale Ansatz würde jedoch Planung auf lange Sicht erlauben. Verfechter eines zentralen Modells sind neben Deutschlands größtem Energieverband, dem BDEW, etwa die deutschen Energiekonzerne RWE, Eon und Uniper sowie die vier Übertragungsnetzbetreiber. Auch das schwarz-grün regierte Bundesland Nordrhein-Westfalen und die Stadtwerke-Kooperation Trianel warben in der Vergangenheit für einen zentralen Kapazitätsmarkt.
Demgegenüber steht ein dezentraler Ansatz. Bei diesem Design wird die Verantwortung für die Versorgungssicherheit direkt an die Marktakteure übertragen. In der Regel müssen Bilanzkreisverantwortliche – meistens sind das die Versorger selbst – nachweisen, dass sie für ihre Kundinnen und Kunden zu jeder Zeit genügend steuerbare Leistungen bereithalten, um etwaige Dunkelflauten abdecken zu können.
Der Nachweis kann über Kapazitätszertifikate erfolgen, die von Kraftwerksbetreibern ausgegeben werden. Die Zertifikate haben meist eine Gültigkeit von wenigen Jahren. Das würde laut Monitoringbericht mehr Spielraum für kurzfristige Anpassungen bringen. Das könnte sich positiv auf die Kosteneffizienz auswirken.
Oder doch ein Mix?
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) spricht sich für einen kombinierten Kapazitätsmarkt aus. In einem ersten Schritt könnten etwa Kapazitäten zentral beschafft werden. Später könnte der Kapazitätsmarkt zu einem wettbewerbsgesteuerten Mechanismus umgebaut werden. Das Bundeswirtschaftsministerium unter Robert Habeck (Grüne) strebte ebenfalls eine kombinierte Variante an. Mehr dazu lesen Sie hier.
Ähnlich wie beim rein zentralen Modell, "können Investitionen in Kapazitäten mit langfristigen Refinanzierungszeiträumen abgesichert werden", heißt es im Monitoringbericht. Der Anreiz für treibhausgasneutrale Flexibilitäten könnte beim Kombimodell stärker ausfallen als beim zentralen Modell.
Oder doch rein finanzielle Absicherungen?
Eine weitere Variante, die im Monitoringbericht genannt wird, ist das verpflichtende Spitzenpreis-Hedging (VSH). Dabei werden die Bilanzkreisverantwortlichen, meist Versorger, dazu verpflichtet, sich gegen Knappheitssituationen abzusichern. Das Ganze läuft über Hedgingprodukte. Anders als im dezentralen Modell, wo die Absicherung über Zertifikate erfolgt, sind die Sicherheiten hier rein finanzieller Natur. Das würde die Möglichkeit eröffnen, dass auch andere Marktakteure, wie etwa Banken, mit eintreten.
Bei der Implementierungsgeschwindigkeit verhält es sich beim VSH ähnlich wie beim zentralen Modell nach belgischem Vorbild. Die Grundlage für dessen Einführung wäre durch die EU-Strombinnenmarktverordnung gegeben. "Diese verpflichtet Lieferanten, geeignete Hedging-Strategien zu etablieren, um eine Absicherung gegen hohe Preise zu gewährleisten und könnte so zu einem VSH weiterentwickelt werden", heißt es im Monitoringbericht. Ähnlich wie beim dezentralen Ansatz würden die kurzen Laufzeiten kurzfristige Anpassungen ermöglichen, heißt es dort weiter.
Ein Blick in andere Länder
Der erste Kapazitätsmarkt in Europa wurde 2014 in Großbritannien eingeführt. In einem Fünf-Jahresrückblick aus dem Jahr 2024 zeigte sich ein grundsätzlicher Erfolg in puncto Versorgungssicherheit. Zwischen der politischen Entscheidung Ende 2013 und den ersten Lieferverpflichtungen lagen vier Jahre. Die erste Auktion fand im Jahr 2014 statt. Bei dem Modell handelt es sich um ein zentrales Design.
Mittlerweile sind zentrale Kapazitätsmärkte in Europa weit verbreitet. Eine Ausnahme bildete Frankreich. Das Land startete mit einem dezentralen Ansatz im Jahr 2017 (erstes Lieferjahr). Ab 2020 begann Frankreich, schrittweise in ein zentrales Modell zu wechseln.
Industrie kritisiert Reiche-Plan
Die Kapazitätsmarktpläne des Wirtschaftsministeriums kommen bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) nicht gut an. "Die Kosten für einen Kapazitätsmarkt liegen bei mindestens 2 Cent/kWh und erhöhen die Stromkosten für energieintensive Betriebe um bis zu 25 Prozent. Damit konterkariert die Bundesregierung ihr Ziel, die Stromkosten deutlich zu senken", schreibt die DIHK. Die zwei Cent pro kWh könnten aus Medienberichten stammen. Demnach soll die damalige Ampelkoalition bei Einführung eines zentralen Kapazitätsmarkts von mindestens zwei Cent pro kWh als geplante Abgabe auf den Strompreis ausgegangen sein.
Außerdem werde die Elektrifizierung von Betrieben jenseits der Industrie verlangsamt, heißt es vom DIHK. Sowohl für Mittelstand als auch Industrie brauche es eine sichere Stromversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen. Konkret fordert der DIHK: "Anstelle eines staatlichen Kapazitätsmarktes sollte jedoch eine marktwirtschaftliche Absicherungspflicht umgesetzt werden, da diese mit den kleinsten Markteingriffen einhergeht und die Wirtschaft am geringsten belastet." Also ein dezentrales oder Hedging-Modell.



