DVGW-Chef: "Strompreise von deutlich über einem Euro"

In Teil 1 des Interviews spricht der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) Gerald Linke über die Notwendigkeit von Gaskraftwerken, die Strompreisentwicklung und darüber, was H2-ready bedeutet. Das Interview wurde am 10. September geführt. 

Herr Linke, die Bundesregierung hat bis zu 20 Gigawatt neue Kraftwerke in Aussicht gestellt. Aus dem Reiche-Ministerium hört man, es soll in Richtung konventionelle Gaskraftwerke gehen, bei der SPD liegt die Stoßrichtung eher bei H2-ready-Kraftwerken. Wie nehmen Sie diese Diskussion wahr?

Dass Deutschland neue Gaskraftwerke benötigt, hat der DVGW in früheren Studien bereits ermittelt. Das ergibt sich allein aus dem Gebot der Versorgungssicherheit heraus. Schaut man sich das Stromprofil an, ist positiv anzuerkennen, dass über 50 Prozent bereits aus Erneuerbaren generiert werden. Aber es bleiben noch 50 Prozent bezogen auf einen jährlichen Strombedarf von über 500 Terawattstunden. Es geht nicht nur um Menge, sondern auch um Leistung – die Zeiten, in denen die Erneuerbaren nicht zur Verfügung stehen.

Kohle ist kein Energieträger der Zukunft, dazu gibt es Vereinbarungen mit einem Zieldatum. Aber Kohle lässt sich eben nicht durch die Erneuerbaren ersetzen, schon von der Größenordnung her nicht. Wenn wir von Kohle auf Erdgas umswitchen, haben wir einen enormen Klimaeffekt, weil die Emissionen sich halbieren. Und wenn das Gas mit der Option, diese Gaskraftwerke auch mit Wasserstoff zu betreiben, dekarbonisiert werden kann, dann kommen wir der Klimaneutralität sehr nahe.

Sie sprechen immer wieder von 40 Gigawatt, die der DVGW ermittelt hat – deutlich mehr als die geplanten 20 Gigawatt.

Das bezieht sich auf den Zeitraum bis 2045. Dazu kommt noch die Wärmewende: Es gibt rund 70.000 KWK-Anlagen in Deutschland. Dort, wo heute schon Gas eingesetzt wird, muss es Wasserstoff werden.

Es wäre absurd, die Wärmenetze stillzulegen, während gleichzeitig die Herausforderung besteht, sie zu verdichten. Deswegen ist auch da der Kraftwerkszubau zum weiteren Ausbau der Nah- und Fernwärme sinnvoll. Man muss sich das nicht als große monolithische Kraftwerke vorstellen, sondern tatsächlich viel mehr Kraftwerke in mittlerer und kleinerer Größenordnung.

Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des DVGW

Zur Person:

Gerald Linke ist seit 2014 Vorstandsvorsitzender des DVGW. Der promovierte Physiker wechselte nach Stationen bei Ruhrgas und Eon an die Spitze des Branchenverbands, wo er die Transformation der Gaswirtschaft in Richtung Wasserstoff vorantreibt. 2025 wurde er zum Europa Regional Coordinator der International Gas Union ernannt.

Die Ministerin hat gesagt, dass bei den ersten Ausschreibungen so wenig Auflagen wie möglich erfolgen sollen. H2-ready- und KWK-Anlagen kosten deutlich mehr als konventionelle. Was erwarten Sie von der Bundesregierung?

Ich halte es für den richtigen Ansatz zu sagen, dass eine Anlage dann als H2-ready gilt, wenn sie mit geringen Zusatzkosten auch auf Wasserstoff umgestellt werden kann. Wir wissen von den Herstellern, dass viele heute schon mit Beimischung von Wasserstoff ihre konventionellen erdgasoptimierten Turbinen betreiben können.

Das mag bei jedem Unternehmen anders sein – da gibt es einen Wettbewerb zwischen amerikanischen Herstellern und deutschen Konzernen, wie etwa Siemens Energy. So ein Vorschlag wäre klug, weil er eine Vielfalt eröffnet. Bei kleineren Turbinen gibt es heute schon 100-Prozent-H2-ready-Lösungen. In größeren Leistungsklassen können manche nur 60 Prozent Wasserstoff. Da weiß man, dass man nachrüsten muss.

Bei reinen Wasserstoffkraftwerken liegen die Stromgestehungskosten pro Kilowattstunde deutlich höher als bei Erdgas. Wird sich das ändern?

Der Prozess ist enorm dynamisch. Unser Gefüge ist, dass es zwischen Gas und Strom nach wie vor den Faktor drei gibt. Obwohl die Politik verspricht: Sonne und Wind schicken keine Rechnung. Die Strompreise werden weiter steigen, weil sie sich nicht nur aus der Erzeugung rechtfertigen, sondern vor allem aus dem Infrastrukturausbau.

Nehmen Sie 500 Milliarden Netzausbaukosten bis 2035: Wenn Sie die auf den Strompreis umschlagen, kommen noch mal 20 Cent pro Kilowattstunde obendrauf. Bis 2045 werden wir Strompreise von deutlich über einem Euro sehen, pro Kilowattstunde. Die Wasserstoffpreise werden mit ungefähr 12 Cent pro Kilowattstunde prognostiziert. Selbst der angeblich so teure grüne Wasserstoff wird bezahlbar sein, vor allem in Relation zum Strompreis.

Wo sind die größten technischen Herausforderungen beim Übergang von konventionellen zu H2-ready- zu dann Vollwasserstoff-Kraftwerken?

Auf der technischen Seite sind die Herausforderungen zu einem überwiegenden Teil bewältigt. Der DVGW befasst sich seit Jahren mit den Netzen, unsere Forschungsinstitute haben untersucht, wie wir Erdgasnetze auf Wasserstoff umstellen können. Alle Details sind validiert durch Großversuche. Wir haben Wasserstoff in verschiedene Anwendungen gebracht – Glaserzeugung, Haushalte mit 100 Prozent Wasserstoffversorgung.

Turbinen sind von Siemens getestet worden. Die technische Machbarkeit ist gegeben. Die Herausforderung besteht im Marktdesign. Es ist genug Kapital und Investitionsbereitschaft da, man möchte aber Abnahmegarantien. Das kann der Staat durch eine Quote geben, indem er vorschreibt, dass unser Gas, wie auch der Strom, zunehmend grün sein muss.

Haben Sie eine realistische Einschätzung, bis wann man in Deutschland vom H2-Hochlauf reden kann?

Es gibt ein Ziel für die Fertigstellung des Kernnetzes – 2032. Wir sehen, dass gebaut wird. Ich gehe davon aus, dass das Netz plangemäß fertig sein wird. Ein fertiges Kernnetz darf nicht leer sein, deswegen gibt es bereits Projekte, die es zum Teil befüllen werden. Wir brauchen jetzt Verhandlungen mit Partnern, die uns sagen: Ab 2032 kann in großen Mengen Wasserstoff geliefert werden.

Bis dahin brauchen wir die einzelnen Projekte mit Elektrolyseuren in Deutschland als Unterbau für die größere Lösung. Es kommen gewaltige Energiemengen durch eine Wasserstoffröhre im Vergleich zu einem kleinen Stromkabel. Unsere Wahrnehmung ist getrübt, weil nach der Euphorie zum Bau des Kernnetzes die Meinung vorherrscht, dass der Netzausbau Monate später komplett steht. Die Bereitstellung der Infrastruktur braucht Zeit. Wer genau hinschaut, sieht: Es wird gebaut. Wir dürfen nicht immer den Kurs ändern. Energiewende ist ein Marathon, kein Sprint.

Das Interview führte Lucas Maier

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