Seit dem 28. Juni gilt das sogenannte Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) für Kommunen und Energieversorger, sofern sie digitale Produkte anbieten und Dienstleistungen erbringen. Ziel des Gesetzes ist es, Menschen mit Behinderungen an der digitalen Welt teilhaben zu lassen. Entsprechend müssen Webseiten und Apps angepasst werden. Doch was genau müssen Stadtwerke dabei beachten? Ein Überblick:

Was bedeutet barrierefrei?

Produkte und Dienstleistungen sind barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Als Barrieren gelten zum Beispiel schlechte Farbkontraste, fehlende Untertitel bei Videos oder mangelnde Alternativen zur Maus, um auf der Website zu navigieren.

Da das Ziel des neuen Gesetzes ist, das Recht auf Teilhabe am Leben von Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft zu stärken, sprechen gute Argumente dafür, dass die gesamte Website barrierefrei gestaltet sein muss.

Die Anforderungen an Barrierefreiheit sind neben Gesetzesverordnung in Normen wie EN 301 549, WCAG 2.1 (plus Erweiterungen) und der BITV 2.0 festgelegt. Letztere geht sogar über die Anforderungen des BFSG hinaus.

Für wen gilt das neue Gesetz?

Unternehmen sind dann betroffen, wenn sie bestimmte digitale Produkte auf den Markt bringen, beispielsweise Software, Tablets, Selbstbedienungsterminals oder digitale Verbraucherendgeräte.

In der kommunalwirtschaftlichen Praxis betrifft dies vor allem Internetseiten oder Apps, über die Verbraucher Verträge über folgende Leistungen schließen können:

  • Lieferung von Wasser, Gas, Strom oder Fernwärme,
  • Bereitstellung von Personenbeförderungsdiensten
  • Bereitstellung von Telekommunikationsdienstleistungen
  • Eintritt zu Schwimmbädern oder zu anderen kommunalen Einrichtungen, z. B. in den Bereichen Sport, Kultur, Erholung
  • Einkäufe in Web-Shops

Wichtig: Diese Produkte müssen künftig barrierefrei gestaltet sein. Ebenso müssen Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr für Privatpersonen – wie digitale Kundenportale, Verkäufe über Onlineshops oder digitale Terminbuchungen – sowie bestimmte digitale Dienstleistungen, zum Beispiel Bank- oder Telekommunikationsdienste und elektronische Ticketsysteme für ÖPNV, durchgängig barrierefrei angeboten werden.

Gibt es Ausnahmen?

Ja. Dienstleistungen von Kleinstunternehmen (weniger als zehn Mitarbeitende und maximal zwei Millionen Euro Jahresumsatz oder -bilanzsumme) müssen nicht barrierefrei sein. Diese Ausnahme greift jedoch nicht bei bestimmten digitalen Produkten im Sinne des BFSG sowie für Dienstleistungen, die nachweislich ausschließlich für Unternehmen angeboten werden. Außerdem gibt es Ausnahmen für Unternehmen, in denen die Umsetzung der Barrierefreiheit eine "unverhältnismäßige Belastung" oder eine "grundlegende Veränderung" des Produkts oder der Dienstleistung darstellen würde.

Was sind Beispiele für barrierefreie Kundenportale?

  • Mehrkanalige Bereitstellung von Informationen: Bilder benötigen Alternativtexte, Produktvideos Untertitel, und Texte müssen für Screenreader oder Audiodeskriptionen zugänglich sein
  • Gute und verständliche Wahrnehmung: Angemessene Schriftgrößen, barrierefreie Schriftarten, klare und verständliche Texte sowie ausreichende Kontraste
  • Einfache Navigation und Menüführung: Bedienbarkeit der Seite über die Tastatur, visuelle Hinweise für den Tastaturfokus und ausreichend Zeit zur Bedienung

Unklar ist, ob sich die Anforderungen des Gesetzes auf die gesamte Webseite samt Rechtstexten und Prozessen erstrecken (sprich auf die komplette Website inklusive Cookie-Banner, integrierter Buchungsstrecke, AGB, Widerrufsbelehrungen, Impressen und Datenschutzerklärungen, Prozess der Betroffenenrechte nach Art. 12 ff. Datenschutz-Grundverordnung und so weiter) oder nur auf die Bestandteile, die im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Verbrauchervertrags stehen.

Gibt es Übergangsbestimmungen?

Ja. Der Gesetzgeber hat für alle Dienstleistungen, die vor dem 28. Juni 2025 bereits im Einsatz waren, eine Frist bis zum 27. Juni 2030 gewährt, diese weiterhin zu erbringen. Diese Übergangsfrist gilt allerdings ausdrücklich nicht für Online-Shops, da sie nicht "unter Einsatz von Produkten" erbracht werden.

Fahre ich weiterhin gut, wenn ich mich an das Behindertengleichstellungsgesetz halte?

Tatsächlich orientieren sich viele Stadtwerke bislang an den Vorgaben des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) oder den jeweiligen Landesgesetzen. Doch Vorsicht: Diese Regelungen gelten für öffentliche Stellen. Das BFSG richtet sich gezielt an Wirtschaftsakteure, also auch an kommunale Unternehmen mit wirtschaftlicher Tätigkeit.

Zudem unterscheidet sich der gesetzliche Rahmen deutlich. Während etwa öffentliche Stellen in ihrer Erklärung zur Barrierefreiheit auch vorhandene Mängel aufführen dürfen, ist das beim BFSG nicht vorgesehen: Digitale Angebote müssen vollständig barrierefrei sein, es sei denn, eine der klar geregelten Ausnahmen greift. Eine bloße Absicht oder ein "Wir arbeiten daran" reicht künftig nicht mehr aus.

Was ist noch unklar?

Für Stadtwerke, die sowohl unter landesrechtliche Regelungen als auch unter das BFSG fallen, stellt sich aktuell eine praktische Frage: Müssen zwei unterschiedliche Erklärungen zur Barrierefreiheit veröffentlicht werden – eine nach Landesrecht, eine nach BFSG?

Derzeit fehlt hierzu eine eindeutige Vorgabe. Aus praktischer Sicht spricht jedoch viel dafür, allein die BFSG-konforme Erklärung zu veröffentlichen, um widersprüchliche Inhalte zu vermeiden. Wie die zuständigen Behörden dies bewerten, bleibt abzuwarten.

Welche Bußgelder drohen, wenn sich Unternehmen nicht an die neuen Vorgaben halten?

Die Marktüberwachungsbehörde kann bei fehlender oder fehlerhafter Umsetzung Bußgelder von 10.000 Euro – in schweren Fällen sogar bis zu 100.000 Euro – verhängen.

Als letztes Mittel kann sie die Bereitstellung der Produkte auf dem Markt oder die Erbringung von Dienstleistungen untersagen. Damit droht Websites die Abschaltung.

Verstöße gegen das BFSG können gleichzeitig Verstöße gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) darstellen. Denn es ist denkbar, dass die BFSG-Pflichten sogenannte Marktverhaltensregeln darstellen, deren Missachtung gemäß Paragraf 3a UWG unlauter ist.

Bei Vorliegen zusätzlicher Voraussetzungen könnten Wettbewerber daher Abwehr-, Schadensersatz- und Gewinnabschöpfungsansprüche geltend machen. Wie die Gerichte dies beurteilen werden, ist jedoch noch nicht absehbar.

Wie sieht es bei Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüchen aus?

Fehlende Barrierefreiheit eines Produkts kann als Sachmangel gelten und Gewährleistungsrechte wie Nachbesserung, Rücktritt, Minderung oder Schadensersatz auslösen. Bei Dienstleistungen gelten meist Dienstverträge, nicht Kaufverträge. Verbraucher könnten bei Verstößen gegen das BFSG Schadensersatz fordern, wobei rechtliche Details noch durch Gerichte geklärt werden müssen.

Verträge über Webseiten oder Apps, die BFSG-Anforderungen nicht erfüllen, sind nicht automatisch nichtig. Eine Nichtigkeit wäre nur denkbar, wenn die BFSG-Vorgaben als Verbotsnorm nach Paragraf 134 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gelten. Da die Nichtigkeit nicht im Sinne des Gesetzgebers oder der Verbraucher wäre, widerspricht sie dem Ziel des BFSG, eine inklusive Gesellschaft zu fördern.

Gibt es Leitlinien, die mir Orientierung bieten?

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat Leitlinien veröffentlicht, die Beispiele zum Anwendungsbereich des Gesetzes und Anforderungen an die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen veranschaulichen.

Die Bundesfachstelle Barrierefreiheit ist zentrale Anlaufstelle zu Fragen der Barrierefreiheit für die Behörden, die das BGG umsetzen müssen, unterstützt aber auch die Wirtschaft.

Unsere Kolumnistin Constanze Adolf ist Senior Managerin bei Items, einem Dienstleister für die Energiewirtschaft. In der Kolumne "Megawatt & Paragrafen" bringt die promovierte Politologin regelmäßig auf den Punkt, was Stadtwerke, Netzbetreiber und kommunale Entscheider über neue Gesetze, Verordnungen, politische und energiewirtschaftliche Trends wirklich wissen müssen.

Wichtige Begriffe der Netzregulierung:

Anreizregulierung: Oberbegriff für die Regulierung von Strom- und Gasnetzen, die als natürliche Monopole gelten. Die Regulierung soll den Betreibern von Strom- und Gasnetzen wirtschaftliche Anreize, aber auch Anreize zur Kostensenkung setzen. So soll das System insgesamt möglichst effizient funktionieren.

Erlösobergrenze: Das sind die Erlöse, die Netzbetreibern Jahr für Jahr während einer Regulierungsperiode zur Verfügung stehen. Die Bundesnetzagentur oder die Landesregulierungsbehörden legen jeweils vor Beginn einer Regulierungsperiode fest, wie hoch diese Erlöse sein dürfen.

Regulierungsperiode: Das ist der Zeitraum, für den die Erlöse von Netzbetreibern von der Bundesnetzagentur festgelegt werden. Derzeit dauert eine Regulierungsperiode fünf Jahre. Für Stromnetze läuft gerade die vierte Regulierungsperiode. Sie endet 2028. Für Gasnetze läuft gerade ebenfalls die vierte Regulierungsperiode. Sie endet 2027.

Effizienzvergleich: Grundsätzlich führen die Regulierungsbehörden zunächst eine Kostenprüfung durch. Anschließend werden die Kosten der einzelnen Netzbetreiber in einen Effizienzvergleich überführt. Dabei wird für jeden Netzbetreiber die individuelle Effizienz im Vergleich zu anderen Netzbetreibern bestimmt. Netzbetreiber müssen hierbei ermittelte Ineffizienzen über den Verlauf der Regulierungsperiode abbauen. So läuft das sogenannte Regelverfahren ab.

Vereinfachte Verfahren: Im Gegensatz zum Regelverfahren erhalten Netzbetreiber im vereinfachten Verfahren einen pauschalen Effizienzwert, der aus den Ergebnissen des Effizienzvergleichs der Regelverfahren abgeleitet wird. Das spart den Netzbetreibern Verwaltungsaufwand. Nur Stromnetzbetreiber mit weniger als 30.000 Netzkunden dürfen ein vereinfachtes Verfahren durchführen. Bei Gasnetzbetreibern müssen es weniger als 15.000 Netzkunden sein.

Individuelle Erlösobergrenze: Aus den geprüften Kostendaten und dem Ergebnis des Effizienzvergleichs wird für jeden Netzbetreiber die individuelle Erlösobergrenze festgelegt.

Netzentgelte: Auf Basis der individuellen Erlösobergrenze ermitteln die Netzbetreiber nach den gesetzlichen Vorgaben die Netzentgelte in ihrem Netzgebiet und veröffentlichen diese in ihren Preisblättern. In der Regel werden am 15. Oktober eines Jahres die Netzentgelte für das Folgejahr bekanntgegeben.

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