"Wärmenetze werden Gasnetz verdrängen"
Vielerorts sind der Gasvertrieb und die Gasnetze noch das Brot- und Buttergeschäft von Stadtwerken. Das wird sich bis spätestens 2045 ändern, denn dann will Deutschland annähernd klimaneutral sein. Die Wärmewende und die damit einhergehende Dekarbonisierung stellen die Branche vor eine immense Transformationsherausforderung.
Stilllegungen, Umwidmungen für die Nutzung von Wasserstoff, der Aufbau einer alternativen, grünen Wärmeversorgung, der Ausbau des Wärmevertriebs und die Erschließung alternativer Geschäftsfelder – all das treibt die Branche um. Gleichzeitig gibt es viele offene rechtliche und regulatorische Fragen und Unsicherheiten, auch mit Blick auf die Finanzierung und die Wahl der Abschreibungsmodalitäten. Darüber wollen wir in einer neuen Serie mit Stadtwerke-Verantwortlichen, Fachexperten und Beratern sprechen.
Haben Sie einen interessanten Input oder drängende offene Fragen? Dann sollten wir ins Gespräch kommen, die Serie lebt von Praxisnähe. Wir freuen uns über Ihre Meinung oder Ihre Impulse zu diesem Thema. Schicken Sie entsprechende Vorschläge oder Rückfragen gerne an den ZfK-Redakteur Hans-Peter Hoeren unter h-hoeren(at)zfk(dot)de.
Zukunft der Gasnetze ist auch Titelthema der ZfK-Septemberausgabe
Im Rahmen unserer großen Gasnetz-Serie sind bereits 17 Beiträge erschienen (darunter fünf Fachbeiträge zur neuen Abschreibungs-Richtlinie Kanu 2.0). Sämtliche bisher erschienenen Artikel finden Sie hier.
Die Zukunft der Gasnetze ist auch das Titelthema in der September-Printausgabe der ZfK, die Anfang des Monats erschienen ist. Hier finden Sie unter anderem Texte zur kommunalen Wärmeplanung sowie zu einem Vorstoß der NGN Netzgesellschaft Niederrhein für mehr Planungssicherheit für Verteilnetzbetreiber bei der anstehenden Transformation. Zum ZfK-Abo geht es hier.
Von Hans-Peter Hoeren
Die Voraussetzungen für die Wärmewende im thüringischen Jena sind sehr gut. Ende Juni hat der Stadtrat die kommunale Wärmeplanung beschlossen. Gesichert werden soll die städtische Wärmeversorgung künftig mehrheitlich über Wärmenetze: Der Anteil der Haushalte mit Fernwärme soll von heute 56 auf bis zu 70 Prozent steigen.
Über 20 Prozent des Wärmebedarfs wird künftig mittels Wärmepumpen abgedeckt werden. Einige kleinere Gebiete in der Nähe von Gewerbeansiedlungen wurden zudem als Prüfgebiete für Wasserstoff ausgewiesen.
Der lokale Verteilnetzbetreiber Stadtwerke Jena Netze treibt die Transformation eines Teils seiner Erdgasnetze hin zu Wasserstoffnetzen aktiv voran. Die Anbindung an das nahe vorbeiführende Wasserstoffkernnetz wird vorbereitet. Voraussichtlich ab2028/2029 könnte der erste Wasserstoff zu größeren Industrie- und Gewerbekunden in Jena fließen. Erste Ankerkunden wurden bereits gewonnen.
Auch Stromnetzausbau wird Gasnetz verdrängen
Kristin Weiß, Geschäftsführerin der Stadtwerke Jena Netze, geht davon aus, dass bis 2045 nur noch rund 25 Prozent des heutigen Gasnetzes in Jena benötigt werden. Dies vor allem für die Wasserstoffnutzung.
Vor allem im innerstädtischen Bereich mit dicht besiedelten Wohnquartieren sehen die Stadtwerke viel Potenzial für den Fernwärmeausbau. "Die Wärmenetze werden das Gasnetz perspektivisch überflüssig machen", sagt Weiß.
In den Ortsrandlagen und Vororten von Jena, die vor allem von Ein- oder Zweifamilienhäusern geprägt seien, werde die Nutzung von Wärmepumpen zunehmen – dafür ist ein Stromnetzausbau erforderlich, der das Gasnetz ebenfalls "verdrängen" werde.
"Unser Blick richtet sich zunehmend auch darauf, welche Strategien es für eine geordnete Stilllegung von Teilnetzabschnitten braucht."
Der Fokus im Gasnetz in Jena liege aktuell auf einem sicheren Weiterbetrieb. Neubaugebiete würden schon länger nicht mehr mit Gas, sondern durch Wärmenetze oder Wärmepumpen erschlossen. "Unser Blick richtet sich zunehmend auch darauf, welche Strategien es für eine geordnete Stilllegung von Teilnetzabschnitten braucht."
Mittelfristig werde man eine rechtliche Möglichkeit benötigen, um gewisse Netzstränge stilllegen zu können, sagt Weiß. Für einen effizienten Gasnetzbetrieb auch in den kommenden Jahren der Transformation bedürfe es koordinierter Stilllegungen. Von Seiten des Gesetzgebers sei dabei das Thema Netzanschlusskündigungen zu adressieren.
Kristin Weiß wünscht sich in dem Kontext eine noch bessere Verzahnung zwischen dem Aus- und Umbau hin zu einer dekarbonisierten Wärmeversorgung und einer koordinierten Stilllegung von Teilen des Gasnetzes. Gelinge dies nicht, würden die beiden Infrastrukturen für einen zu langen Zeitraum parallel betrieben werden. "Das alles birgt das Risiko stark steigender Netzentgelte für die Kundinnen und Kunden und hoher wirtschaftlicher Kosten für uns Netzbetreiber."
"Sehr schönes Planungsinstrument auch für die Netzkunden"
Dass die kommunale Wärmeplanung in Jena jetzt frühzeitig vorliege, habe ein "sehr schönes Planungsinstrument auch für die Netzkunden geschaffen". Wichtig sei jetzt, dass auf nationaler Ebene auch ein belastbarer Rechtsrahmen für die Transformation der Gasnetze geschaffen werde.
Einen besonderen Fokus legt sie dabei auf das Thema Wasserstoff. Neben der Verfügbarkeit von ausreichenden Mengen und wettbewerbsfähigen Preisen – die aktuell installierte Elektrolyseleistung ist nur ein marginaler Bruchteil der laut nationaler Wasserstoffstrategie angestrebten mindestens zehn Gigawatt – sei hier ein verlässlicher Förderrahmen zentral.
Dies betreffe erzeugungsseitig die Förderung insbesondere systemdienlicher sowie Offshore-Elektrolyse. Nachfrageseitig sollte der frühzeitige Einsatz von grünem Wasserstoff in der Industrie gefördert werden. Außerdem sollte die Kraftwerksstrategie der Bundesregierung H2-Kraftwerke respektive H2-ready-Kraftwerke umfassen, um so die Nachfrage nach Wasserstoff anzukurbeln.
Systematik für bezahlbare Wasserstoffnetzentgelte
Weiterhin bedarf es einer Systematik für bezahlbare Wasserstoffnetzentgelte auf Verteilernetzebene, gerade für die Anfangsphase.
Darüber hinaus sollte die EU-Gas-Richtlinie, insbesondere die Artikel 55 und 56, zeitnah in nationales Recht umgesetzt werden, um eine Transformationsperspektive abseits der "FAUNA-Festlegung" der Bundesnetzagentur (FAUNA steht für "Fahrpläne für die Umstellung der Netzinfrastruktur auf die vollständige Versorgung der Anschlussnehmer mit Wasserstoff").
Damit Gasnetzkunden zudem künftig nicht von absehbaren, erheblichen Kostensteigerungen getroffen werden, bedürfe es verlässlicher Rahmenbedingungen für den Umstieg auf zukunftsfähige Lösungen. Daher wäre ein klares Bekenntnis der aktuellen Bundesregierung zur Wärmewende so wichtig, auch um keine neuerliche Unsicherheit zu schaffen, verdeutlicht Weiß.
"Wir benötigen kein Zurück beim Gebäudeenergiegesetz, sondern praxisgerechte Anpassungen des GEG im Detail und ein Festhalten am eingeschlagenen Kurs der Modernisierung der Gebäudebeheizung in Deutschland durch klimaneutrale Technologien und den Einsatz erneuerbarer Energien.



