THG-Bilanz: Warum viele Stadtwerke sich inzwischen auch Datenqualitäts-Ziele setzen
Gastbeitrag von
Jonas Lepping,
Abteilungsleiter Klimaschutz und Nachhaltigkeit,
Maria Möhner,
Teamleiterin Klimaschutz,
Lisa Thelen,
Projektmanagerin Klimaschutz,
Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (Asew)
Ein Stadtwerk wie viele andere in Deutschland: Eine Treibhausgasbilanz wird erstellt. Und zur Freude der Beteiligten fällt der Wert zunächst überraschend niedrig aus. Doch die Freude darüber ist nur kurz, denn zusätzliche Daten zu Bauprojekten strömen hinzu, auch müssen hier und da Fehler etwa in der Stromkennzeichnung bereinigt werden – und prompt schnellt der zunächst erfreulich niedrige Emissionswert hoch.
Solche Verschiebungen sind keine Seltenheit: Mal wachsen Bilanzwerte an, weil Prozesse genauer erfasst werden, mal weil neue Quellen berücksichtigt werden.
"Jede THG-Bilanz erzählt ihre eigene Geschichte
Genau diese Dynamik zeigt, dass sich ein genauer Blick immer lohnt und jede THG-Bilanz ihre eigene Geschichte erzählt. Erst kürzlich hat unser Team die 100. Treibhausgasbilanz für kommunale Versorgungsunternehmen nach dem international anerkannten Standard "Greenhouse Gas Protocol" (GHGP) fertiggestellt.
Dabei haben sich das gesamte Umfeld wie auch die Ansichten der Gesellschaft zum Thema über die Zeit deutlich gewandelt. Waren die ersten Bilanzen noch deutlich abgespeckter, das heißt viele Emissionsquellen mussten in die Erstellung schlicht nicht einbezogen werden, sind die Anforderungen mittlerweile sehr viel anspruchsvoller und strenger geworden.
Vor vier Jahren konzentrierte man sich noch weitgehend auf Scope-1- und Scope-2-Emissionen und klammerte sogar Strom‑ und Erdgasverkäufe aus der Betrachtung aus.
Heute erwarten zu Recht nicht nur Zertifizierungsgesellschaften, sondern auch alle relevanten Anspruchsgruppen eine deutlich umfassendere Treibhausgasbilanz. Das hat mit einer gestiegenen öffentlichen Sensibilität zu tun, die sich vor allem aus Erfahrungen mit dem Thema Greenwashing speist.
Dies führt mittlerweile dazu, dass keine relevanten Emissionen mehr ohne weiteres übersehen oder bewusst ausgeklammert werden dürfen. Jede potenzielle THG-Quelle wird auf ihren Anteil am unternehmenseigenen Klimaeinfluss hin geprüft und entsprechend auch transparent dargestellt.
"Teilweise fehlen Daten, dann kann nur grob geschätzt werden"
Am Beginn jeder Treibhausgasbilanz steht eine grundlegende Festlegung der organisatorischen Bilanzgrenzen. In diesem Rahmen vollzieht sich dann die konkrete Arbeit zur Bilanzierung. Die Erfahrung aus mittlerweile 100 THG-Bilanzen diktiert dabei dann nachgerade, eine systematische Wesentlichkeitsanalyse zu den 15 durch das Greenhouse Gas Protocol vorgegebenen Scope-3-Kategorien durchzuführen.
Noch bevor die relevanten Daten zusammengetragen werden, bewertet die Asew dabei gemeinsam mit den Fachleuten im Stadtwerk potenzielle Emissionsquellen nach vier Kriterien: Signifikanz, Datenverfügbarkeit, Beeinflussbarkeit sowie Stakeholder-Relevanz.
Wir haben hier zudem die Erfahrung gemacht, dass die Scope-3‑Wesentlichkeitsanalyse bei den meisten Energieversorgern sehr vergleichbare Ergebnisse erzielt. Eine zentrale Erkenntnis war dabei, dass manche Emissionsquellen aufgrund fehlender Daten zunächst nur grob geschätzt werden können.
Letztere fallen jedoch nicht durchs Raster – im Gegenteil: Handelt es sich um eine wesentliche Quelle in Bezug auf die Gesamtemissionsmenge, zu der noch keine validen Daten vorliegen, wird parallel ein Prozess zur Datenerfassung angestoßen.
Belastbare Daten in Folgejahren erlauben genauere Annäherung
So bleiben die Emissionen zwar zunächst nur geschätzt in der Bilanz, können in den Folgejahren aber auf Basis belastbarer Daten präzise berücksichtigt werden. Ein typisches Beispiel dafür ist die Scope-3-Kategorie "Erworbene Dienstleistungen und Waren". Hier gibt es bei jedem Energieversorger noch Potenzial für Verbesserung in der vollständigen Betrachtung.
100 durchgeführte THG-Bilanzen haben zudem zur Erkenntnis geführt, dass der Aufbau eines Datenqualitätsindex für jede Emissionsquelle hilfreich ist. Dabei bewerten wir zum einen die Aktivitätsdaten hinsichtlich ihrer Genauigkeit – je nachdem, ob ein Wert geschätzt, modelliert oder gemessen wurde.
Unabhängig davon betrachten wir die Emissionsfaktoren, die ebenfalls unterschiedlich belastbar sind, etwa wenn sie kostenbasiert, auf Durchschnittsdaten beruhend oder lieferantenspezifisch vorliegen.
Nur mit diesem hohen Maß an Transparenz lässt sich erklären, warum sich eine Bilanz im Laufe der Jahre verändert: Wenn etwa die derzeit noch eher geringe Datenqualität steigt und zusätzlich bisher schwer zu erfassende Emissionen wie Bauemissionen berücksichtigt werden, kann die Bilanz anwachsen, ohne dass die Klimaziele an Substanz verlieren. Genau deshalb setzen sich viele Stadtwerke inzwischen nicht nur Emissions-, sondern auch Datenqualitätsziele.
Die wichtigsten Lessons learned
Welche zentralen Erkenntnisse lassen sich nun aus den bei 100 THG-Bilanzen gesammelten Erfahrungen ziehen?
- Datenqualität und Bilanzsumme wachsen parallel zueinander
- Emissionen verschieben sich durch technologische Maßnahmen
- Ausbau von Fernwärme und ÖPNV senkt allgemein Emissionen, erhöht aber die Stadtwerke-Bilanz
- Eine THG-Bilanz ist keine Wirtschafts-Bilanz.
- Vergleichbarkeit erfordert Einheitlichkeit
- Emissionsziele benötigen eine belastbare Datenbasis
- Null-Bilanz nach GHGP bleibt unerreichbar
- Standardisierung zahlt sich aus
- Druck von Regulatoren und Investoren
- Keine Bilanz vorzuweisen, ist ein Zukunftsrisiko
Wichtig ist und bleibt eine frühzeitige und gründliche Auseinandersetzung mit der unternehmenseigenen THG-Bilanz für Stadtwerke. Nur so lässt sich ein fundierter Transitionsplan erstellen und es wird möglich, die Wechselwirkungen der Maßnahmen untereinander sowie deren Auswirkungen auf die Bilanz wirklich zu verstehen.
Ohne dieses Verständnis droht ein böses Erwachen, wenn Klimaziele medienwirksam verkündet werden, sich aber kurz darauf herausstellt, dass die Zahlen in der THG-Bilanz etwas anderes sagen.



