Nach dem Erdgas: Zukunftsfähige Geschäftsmodelle und ihre Finanzierung
Vielerorts sind der Gasvertrieb und die Gasnetze noch das Brot- und Buttergeschäft von Stadtwerken. Das wird sich bis spätestens 2045 ändern, denn dann will Deutschland annähernd klimaneutral sein. Die Wärmewende und die damit einhergehende Dekarbonisierung stellen die Branche vor eine immense Transformationsherausforderung.
Stilllegungen, Umwidmungen für die Nutzung von Wasserstoff, der Aufbau einer alternativen, grünen Wärmeversorgung, der Ausbau des Wärmevertriebs und die Erschließung alternativer Geschäftsfelder – all das treibt die Branche um. Gleichzeitig gibt es viele offene rechtliche und regulatorische Fragen und Unsicherheiten, auch mit Blick auf die Finanzierung und die Wahl der Abschreibungsmodalitäten. Darüber wollen wir in einer neuen Serie mit Stadtwerke-Verantwortlichen, Fachexperten und Beratern sprechen.
Haben Sie einen interessanten Input oder drängende offene Fragen? Dann sollten wir ins Gespräch kommen. Die Serie lebt von der Praxisnähe. Wir freuen uns über Ihre Meinung oder Ihre Impulse zum Thema. Schicken Sie entsprechende Vorschläge oder Rückfragen gerne an den ZfK-Redakteur Hans-Peter Hoeren unter h-hoeren(at)zfk(dot)de.
Kleine Artikel-Serie von BET-Consulting innerhalb der ZfK-Gasnetzserie
Im Rahmen unserer großen Gasnetz-Serie sind bereits 16 Beiträge erschienen (darunter fünf Fachbeiträge zur neuen Abschreibungs-Richtlinie Kanu 2.0). Sämtliche bisher erschienenen Artikel finden Sie hier. In dem aktuellen Artikel analysieren Sarah Roes und Michael Seidel, beide Partner bei BET Consulting, die sich aus der Gasnetztransformation ergebenden Chancen für neue Geschäftsmodelle und deren Finanzierung.
Die Zukunft der Gasnetze ist auch das Titelthema in der aktuellen Printausgabe der ZfK, die am 8. September erschienen ist. Hier finden Sie unter anderem Texte zur kommunalen Wärmeplanung und der angestrebten Nutzung von Wasserstoff in Jena sowie einen Vorstoß der NGN Netzgesellschaft Niederrhein, um mehr Planungssicherheit für Verteilnetzbetreiber bei der anstehenden Transformation herzustellen. Zum ZfK-Abo geht es hier.
Gastbeitrag von
Sarah Roes
und
Michael Seidel,
BET Consulting
Der Rückgang des Erdgasabsatzes und die Diskussion um den Rückbau der Gasnetze stellen Energieversorger – insbesondere Stadtwerke – vor strukturelle Herausforderungen. Einst margenstarke Erdgas-Geschäftsfelder, insbesondere im Vertrieb und Netzbetrieb, verlieren zunehmend an Bedeutung. In der Vergangenheit erwirtschafteten Stadtwerke hiermit signifikante Ergebnisbeiträge – durch stabile Netzentgelte, langfristige Lieferverträge und hohe Kundenzahlen im Bestandsgeschäft. Doch die Dekarbonisierung des Wärmemarkts und die daraus resultierende Transformation erfordern neue Geschäftsmodelle, die zukunftsfähig, regenerativ und wirtschaftlich tragfähig sind.
Ein zukunftsträchtiger Weg liegt im Aufbau neuer Geschäftsmodelle im Bereich Wärme. Im Mittelpunkt steht dabei der Ausbau von Wärmenetzen, insbesondere in urbanen und suburbanen Gebieten. Diese Netze können zunehmend mit erneuerbarer Wärme gespeist werden – etwa durch Großwärmepumpen, Solarthermie, Geothermie oder die Nutzung industrieller Abwärme. Der Einsatz sogenannter kalter Nahwärmenetze, kombiniert mit dezentralen Wärmepumpen, ermöglicht eine flexible und klimafreundliche Versorgung ganzer Quartiere.
Auch im Bestand bieten sich neue Perspektiven
Darüber hinaus gewinnen integrierte Quartierslösungen an Bedeutung. Energieversorger entwickeln gemeinsam mit Kommunen und Bauträgern maßgeschneiderte Wärme- und Energiekonzepte, die auch Photovoltaik, Elektromobilität, Energiespeicher und intelligente Steuerungssysteme einbinden. Besonders attraktiv sind dabei Modelle wie Contracting, bei denen der Versorger die Investition übernimmt und langfristig Betrieb, Wartung und Abrechnung sicherstellt.
Auch im Bestand bieten sich neue Perspektiven: Alte Gasheizungen können durch erneuerbare Heizsysteme, wie beispielsweise Pelletheizungen oder strombasierte Heizlösungen (Power-to-Heat), ersetzt werden. Die Kopplung mit regional erzeugtem Grünstrom kann zusätzlichen Nutzen stiften. Für Stadtwerke entstehen hier neue Wertschöpfungspotenziale – sei es als Anbieter kompletter Systemlösungen oder als Betreiber von Infrastruktur.
Diverse Förderprogramme
Zur Umsetzung dieser Geschäftsmodelle stehen umfangreiche öffentliche Fördermittel bereit. Für Energieversorger ist insbesondere die "Bundesförderung effiziente Wärmenetze (BEW)" von zentraler Bedeutung. Sie unterstützt sowohl Machbarkeitsstudien und Transformationspläne als auch den konkreten Ausbau und die Dekarbonisierung von Wärmenetzen – inklusive der Anbindung regenerativer Wärmequellen. Ergänzend bieten Programme der KfW, wie "Erneuerbare Energien – Premium", günstige Kredite für Investitionen in Wärmeerzeugung und Infrastruktur.
Für Privatkunden und Gewerbebetriebe bietet die "Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG)" attraktive Zuschüsse für den Umstieg auf klimafreundliche Heizsysteme, Wärmedämmung oder den Anschluss an ein Wärmenetz. Auf kommunaler Ebene kommen ergänzende Landesprogramme und Klimaschutzrichtlinien hinzu, etwa für Quartierskonzepte, kommunale Wärmplanung oder sektorübergreifende Investitionen.
Finanzierungsstrategie für zukunftsfähige Wärme
Der Wandel des Wärmemarkts und die damit verbundenen hohen Investitionen in Wärmenetze, Erzeugung, Stromnetze und vorgenannte neue Geschäftsmodelle stellt Stadtwerke vor nie dagewesene Herausforderungen – bietet aber auch große Chancen. Der Rückgang der Erdgasverwendung, regulatorische Unsicherheiten und ambitionierte Klimaziele erfordern nicht nur technologische Umstellungen, sondern vor allem ein neues Denken in der Unternehmensplanung und Finanzierung.
Neue Geschäftsmodelle rund um Wärmeversorgung, Dekarbonisierung und integrierte Quartierslösungen bieten Perspektiven – doch nur, wenn sie finanziell tragfähig und strategisch sauber durchdacht sind.
Ganzheitliche Businessplanung als Fundament
Eine zentrale Erkenntnis: Die Transformation gelingt nur mit einer integrierten und langfristigen Unternehmensplanung. Diese muss alle Geschäftsfelder – Netze, Erzeugung, Vertrieb – strategisch aufeinander abstimmen. Dabei ist ein strukturierter Planungsprozess essenziell: von der energiewirtschaftlichen Szenarioanalyse über die Businessplanung je Geschäftsfeld bis zur Ableitung des Finanzmittelbedarfs.
Ein konsistentes Planungsmodell bildet die Grundlage für die spätere Kommunikation mit Kapitalgebern differenziert nach Eigenkapitalgebern (etwa Kommunen oder private Investoren) und FK-Gebern wie Banken etc.
Werttreiberanalyse und Risikobewertung
Zunehmend gefragt ist eine belastbare Werttreiberanalyse, welche Chancen und Risiken differenziert betrachtet. Wie wirkt sich der rückläufige Gasnetzbetrieb auf Ebit und Cashflow aus? Welche Investitionen in Wärmenetze oder erneuerbare Erzeugung bringen nachhaltige Erträge? Welchen Effekt haben Fremdkapital-Finanzierungen, Fördermittel, Mezzanine-Finanzierung oder Off-Balance Finanzierungen auf den Verschuldungsgrad? Wie kann ich diesen optimieren und meine Finanzkennzahlen optimal auf die Finanzierung abstimmen?
Solche Fragen entscheiden über die Tragfähigkeit eines Geschäftsmodells – und damit über dessen Finanzierbarkeit. Sensitivitätsanalysen, Ertragsprognosen und die Bewertung von Covenants sind hier unverzichtbar.
Tragfähigkeitsanalyse und strukturierte Finanzierung
Für Banken, Gesellschafter und zukünftige Investoren sind Businesspläne nur dann überzeugend, wenn sie mit einer professionellen Tragfähigkeitsanalyse unterlegt sind. Diese bewertet die Finanzierungskraft anhand relevanter Kennzahlen wie Schuldendienst-Deckungsgrad (DSCR), Eigenkapital-Quote oder dynamischem Verschuldungsgrad.
Oft zeigen sich gerade in der Langfristplanung Finanzierungslücken, die es frühzeitig zu adressieren gilt. Klassische Fremdkapitalinstrumente wie Bankdarlehen müssen durch Fördermittel, alternative Finanzierungsmodelle (beispielsweise Zweckgesellschaften [Special Purpose Vehicle], Leasing oder stille Beteiligungen) und gegebenenfalls Beteiligungspartner ergänzt werden. Der Finanzierungsbaukasten ist groß – entscheidend ist die richtige Struktur und was für die jeweilig besondere Situation des Stadtwerkes passend ist.
Dokumentationsqualität als Erfolgsfaktor
Ein häufiges Defizit besteht in der Qualität der Unterlagen sowie in der für langfristige Finanzierungen nicht ausreichenden Kurz-/Mittelfristplanung der Stadtwerke. Die Langfristplanung über zehn bis 20 Jahre, inklusive Investitionen, langfristiger Ergebnisentwicklung und Cash-Flow Planung ist eine besondere Herausforderung für Stadtwerke. Für eine strukturierte Finanzierung ist eine vollständige und professionelle Dokumentation Voraussetzung.
Dazu zählen plausible Finanzmodelle, klare Erlöskonzepte, Fördermittelstrategien und adressatengerechte Darstellung der Chancen & Risiken einer Finanzierung. Banken erwarten heute ein vollständiges Exposé – nicht nur eine Projektidee. Wer hier nachlässig ist, riskiert Risikoaufschläge oder gar die Ablehnung der Finanzierung.
Investmentstory: Überzeugen mit Zukunftsvision
Investoren wollen mehr als Zahlen – sie wollen eine glaubwürdige Zukunftsvision. Die sogenannte "Investmentstory" verknüpft die strategischen Zielbilder mit finanziellen Planungen und Meilensteinen. Sie beantwortet die Frage: Warum ist das Geschäftsmodell nachhaltig erfolgreich und finanzierbar? Eine gute Story überzeugt sowohl die Kommune als Gesellschafterin als auch die Banken als Fremdkapitalgeber. Storytelling ist damit kein Marketing-Gag, sondern ein zentrales Element erfolgreicher Finanzierung.
Fazit
Die Finanzierung der Wärmewende und neuer Geschäftsfelder ist kein Selbstläufer – sie verlangt strategische Klarheit, professionelle Planung und exzellente Umsetzung. Wer nur auf Fördermittel oder klassische Bankdarlehen hofft, ohne ein konsistentes Geschäftsmodell vorzulegen, wird scheitern.
Entscheidend ist die Verbindung von energiewirtschaftlichem Know-how mit finanzwirtschaftlicher Exzellenz. Stadtwerke, die diesen Weg gehen, können nicht nur die Dekarbonisierung aktiv mitgestalten, sondern sich auch als moderne Infrastrukturpartner der Zukunft positionieren und ganz wichtig langfristig ihre eigenen Ergebnisse sichern.



