Bieberbach: "Daseinsvorsorge in München wäre ohne unsere Windparks nicht mehr finanzierbar"
Die Stadtwerke München (SWM) werden ab diesem Jahr so viel Ökostrom in eigenen Anlagen erzeugen, wie die gesamte bayerische Landeshauptstadt verbraucht. Damit erreichen die SWM mit ihrer Ausbauoffensive Erneuerbare Energien das vom Stadtrat im Jahr 2009 gesteckte Ziel.
6,7 Terawattstunden (TWh) Ökostrom wird der Kommunalversorger 2025 mit seinen eigenen Erneuerbaren-Anlagen erzeugen. Dem steht der Münchner Stromverbrauch gegenüber, der für 2025 bei rund 6,2 TWh und in den Folgejahren leicht steigend erwartet wird.
Fokus liegt künftig verstärkt auf Onshore-Ausbau in Bayern
Investiert haben die SWM bisher rund 4,2 Milliarden Euro in die Ausbauoffensive Erneuerbare Energien (nur Stromerzeugung). Von dieser Summe sind bis Ende 2024 bereits 3,5 Milliarden Euro wieder an die SWM zurückgeflossen. Die Investitionen haben sich also schon jetzt fast amortisiert.
Da zwischenzeitlich auch die Landespolitik den Ausbau der Erneuerbaren erleichtert, liegt der Fokus der Strategie des Kommunalkonzerns nun stärker als früher auf München und der Region. Um hier zügig voranzukommen, wurden alle lokalen und regionalen Aktivitäten in einem Ressort "Regionale Energiewende" vereint.
Über die geplanten Onshore-Windparkprojekte in Bayern und die Wärmewende spricht Karin Thelen, die Geschäftsführerin Regionale Energiewende, in unserem am in einem weiteren Interview im ZfK-Morningbriefing, das am Donnerstag erscheint. Einen kurzen Film über die Ausbauoffensive der SWM finden Sie hier.
Herr Bieberbach, Sie waren schon 2009 in der Geschäftsführung der Stadtwerke München (SWM). Wie war die Stimmung damals, als der Stadtrat damals das Ziel ausgegeben hat, bis 2025 ganz München mit Ökostrom aus eigener Produktion zu versorgen. Haben Sie daran geglaubt, es in der vorgegebenen Zeit zu schaffen?
Wir sind damals als Unternehmen mit ziemlich viel Enthusiasmus losgelaufen in diese neue Welt der erneuerbaren Energien. Das war in den Anfangsjahren ein bisschen Wild West und wir sind auch manch einer dubiosen Figur begegnet. Natürlich war das Ziel sehr ehrgeizig, aber wir waren optimistisch, dass es klappen wird.
Wir haben den Anspruch, ehrlich zu sein und uns erreichbare Ziele zu setzen. Dass wir diese selbst gesetzte Vorgabe jetzt erreicht haben, zeigt der ganzen Organisation: Wenn wir uns etwas Ehrgeiziges vornehmen, das realistisch ist, können wir es auch schaffen.
"Die schwierigste Zeit beim Erneuerbaren-Ausbau war für uns Ende der 2010er Jahre. Damals sind wir aufgrund der Marktlage kaum vorangekommen mit Projekten."
Gab es Phasen, in denen Sie Zweifel bekommen haben, ob es wirklich gelingt?
Am Anfang sind wir schnell vorangekommen. Ein bisschen getrübt wurde dann die Stimmung, als eine Zeit lang in vielen Ländern die Förderung für erneuerbare Energien zurückgefahren wurde. Auch in Deutschland hat der frühere Wirtschaftsminister Peter Altmaier die Energiewende sehr pauschal ausgebremst.
In Bayern haben zudem die Abstandsregelungen den Windkraftausbau lange Zeit zum Erliegen gebracht. Ende der 2010er Jahre hat zudem ein unglaublicher Run auf Flächen eingesetzt hat und viele Branchenfremde haben den Markt für seriös kalkulierende Energieversorger ziemlich kaputt gemacht.
Da wurden teils stark überhöhte Preise für Projekte und Projektrechte bezahlt, es hat sich eine Preisblase gebildet. Das war für uns die schwierigste Zeit, in der wir kaum vorangekommen sind mit neuen Projekten. Seit Kurzem merken wir, dass der Markt sich ein bisschen beruhigt und wieder mehr Vernunft zurückgekehrt ist. Auch die allzu Blauäugigen sind vorsichtiger geworden oder verschwunden durch Insolvenzen oder andere Krisen.
Sehen Sie Parallelen zwischen dieser umfassenden Transformation der Energieerzeugung und der jetzt anstehenden Herausforderung der Wärmewende?
Ich denke, man kann die Transformationsherausforderungen in der Energiewende und der Wärmewende schon vergleichen, gerade die Unklarheit am Anfang über die beste technische Lösung.
Auch bei den Erneuerbaren in der Stromerzeugung war das Ziel klar, aber wie der Weg dahin im Detail aussehen wird, wussten wir am Anfang nicht. Erst im Lauf der Zeit haben sich die technologisch besten Lösungen durchgesetzt.
"Wir hatten glücklicherweise durchgehend eine große Mehrheit des Stadtrats hinter uns und sind sehr dankbar dafür."
Gab es Phasen, in denen Krisenkommunikation gefragt war, um die Akzeptanz sicherzustellen?
Es gab eine kurze Phase, als sich das erste Mal Projekte wirtschaftlich verschlechtert haben, beispielsweise durch den plötzlichen Wegfall der Erneuerbaren-Förderung in Spanien. Das hat zu Missverständnissen geführt, die aber geklärt werden konnten.
Insgesamt ist unser Erneuerbaren-Ausbau ein profitables Projekt und deswegen sind kritische Diskussionen dann wieder abgeflaut. Wir hatten glücklicherweise durchgehend eine große Mehrheit des Stadtrats hinter uns, auch in schwierigen Zeiten. Wir sind sehr dankbar dafür, dass der politische Kurs all die Jahre so klar war.
Was für Rückmeldungen erhalten Sie von den Bürgerinnen und Bürgern? Ist denen bewusst, dass Sie München jetzt zu 100 Prozent aus Ökostrom versorgen können?
Das Ausrufen des Ziels im Jahr 2009 hat viel mehr positive Aufmerksamkeit erhalten als heute sein Erreichen.
Haben Sie eine Erklärung dafür?
Der Zeitgeist hat sich geändert. 2009 hatte der Klimaschutz für viele Menschen ganz hohe Priorität. Aktuell ist das Thema ein bisschen nach hinten gerutscht. Deswegen ist der Applaus für das Erreichen des Ziels heute viel geringer als der fürs damalige Ausrufen des Ziels. Vielen Leuten ist aktuell die Bezahlbarkeit und die Sicherheit der Energieversorgung wichtiger als der Klimaschutz. Aus unserer Sicht bleibt der Ausbau der Erneuerbaren aber weiterhin ein sehr wichtiges Projekt.
"Wenn wir uns nur auf das Stadtgebiet München fokussiert hätten, wären wir jetzt vielleicht bei zehn Prozent Ökostrom. Das wäre ein Riesenfehler gewesen."
In den überregionalen Medien hat man bisher gar nicht so viel Notiz vom Erreichen der Zielmarke genommen. Oft ist die Berichterstattung eher kritisch. Die Zeitung "Die Welt" beispielsweise stellt die Sinnfrage eines Erneuerbaren-Ausbaus, der großteils im Ausland stattgefunden hat. Würden Sie sich da manchmal mehr Wertschätzung wünschen?
Ich sage mal ganz platt, wenn RWE in den USA Windräder baut, dann fragt niemand, wie denn der Strom nach Nordrhein-Westfalen kommt. Bei den SWM dagegen kommt die Frage immer wieder auf, obwohl wir tatsächlich nur innerhalb des europäischen Stromnetzes investieren.
Passt der Vergleich hier wirklich, wenn Sie Deutschlands größtes Stadtwerk mit einem börsennotierten, international tätigen Energiekonzern vergleichen?
Ich denke schon. Ein Stadtwerk assoziieren viele nur mit lokalem Geschäft. Die SWM sind aber schon seit Jahrzehnten überregional aktiv. Der Strom aus dem Atomkraftwerk Isar 2, an dem wir beteiligt sind, kam zum größten Teil auch nicht nach München.
Allein der Name Stadtwerk ist bei vielen Menschen einfach fest verdrahtet mit der Vorstellung, dass alles, was wir machen, auch physikalisch hier in München passieren muss. Das ist ein ganz großes Missverständnis, denn dieses Ausbauprogramm ist ja ein Klimaschutzprogramm.
Wir erzeugen beispielsweise klimaneutral Strom in Norwegen. Durch die überregionalen Investitionen ist es uns gelungen, die gesamte Stromproduktion für München bilanziell klimaneutral zu stellen. Wenn wir uns nur auf das Stadtgebiet München fokussiert hätten, wären wir jetzt vielleicht bei 10 Prozent Ökostrom.
Mit dem Blick auf den Klimaschutz wäre das ein Riesenfehler gewesen. Dass auch die Windräder im Ausland fossile Stromproduktion verdrängen, ist einfach nachzuweisen. Der Klimawandel ist ein globales Problem, das nicht jede Stadt isoliert für sich lösen kann.
"Selbst jemand, der im Kirchturmdenken auf München fixiert ist, muss heute dankbar sein, dass wir diese Windparks haben, mit denen wir Geld verdienen."
Wie sehr wird Sie diese Kommunikationsherausforderungen künftig begleiten?
Ich denke, dass das keine große Herausforderung mehr ist. Natürlich gibt es ein paar Uneinsichtige, die immer noch rumnörgeln, dass wir Windräder weit weg von München betreiben. Es ist aber unstrittig, dass viele Dienstleistungen der Daseinsvorsorge und manches Infrastrukturprojekt in München ohne die Einnahmen aus dem Erneuerbaren-Bereich für uns überhaupt nicht mehr finanzierbar wären.
Selbst jemand, der im Kirchturmdenken auf München fixiert ist, muss heute dankbar sein, dass wir diese Windparks haben, mit denen wir viel Geld verdienen.
"Die Wärmewende trägt sich wahrscheinlich irgendwann selbst, aber die defizitären Bereiche können mit wir allein aus dem lokalen Energiegeschäft nicht mehr tragen."
Welchen Anteil an der finanziellen Ertragskraft der Stadtwerke München hat denn mittlerweile das Erneuerbaren-Portfolio?
Die operativen Gewinne allein aus diesem Bereich liegen in letzter Zeit bei 150 bis 200 Millionen Euro pro Jahr, in Zukunft erwarten wir 100 und 150 Millionen pro Jahr. Ich wüsste nicht, wie wir unser Investitionsprogramm etwa im Bereich ÖPNV und bei den Bädern ohne diese Einnahmen überhaupt noch finanzieren sollten.
Die Wärmewende trägt sich wahrscheinlich irgendwann selbst, aber die defizitären Bereiche könnten wir allein aus dem lokalen Energiegeschäft in München nicht mehr tragen. Hier unterscheiden wir uns nicht von anderen Stadtwerken. Wir ringen doch darum, dass wir aus unserem Energiegeschäft noch die ganzen notwendigen Investitionen für die Wärmewende und den ÖPNV finanzieren können.
Hier haben wir das Glück, dass wir jetzt dieses große Portfolio an überregionalen und regionalen Erzeugungsanlagen haben, mit denen wir manches andere finanzieren und auch noch eine Ausschüttung darüber hinaus an die Stadt München leisten können. Und diese Perspektive haben wir mit unseren Windparks auch über die nächsten Jahrzehnte.
Aber Sie werden auch reinvestieren müssen in das Portfolio. Sie erwarten einen steigenden Strombedarf, den werden Sie auch abdecken müssen.
Natürlich müssen wir laufend reinvestieren und die Kapazität mit steigendem Strombedarf erweitern.
"Repowering ist ein Bestandteil unserer Strategie. Wir wollen aber auch in den Bereich PV und Offshore-Wind weiter investieren."
Das heißt, da denkt man Richtung Repowering und auch über den Austausch bestehender Anlagen nach?
Repowering ist ein Bestandteil unserer Strategie. Wir wollen aber auch in den Bereich PV und Offshore-Wind weiter investieren. Zudem werden wir weitere Onshore-Windparks entwickeln und bauen. Das war lange schwierig, mittlerweile geht es wieder besser.
Was hat sich hier konkret verbessert bei den Rahmenbedingungen?
Der Wegfall der 10-H-Regelung in Bayern hilft uns natürlich sehr, aber auch in anderen Bundesländern haben sich die Rahmenbedingungen verbessert. Wir merken, dass sich Genehmigungsverfahren vereinfacht haben – eine wichtige Errungenschaft aus der letzten Phase der Ampel-Regierung. Hier kommt man in Deutschland jetzt besser voran als früher.
Wie sehr hilft Ihnen das große Ökostromportfolio als Argument bei der Ansiedlung von Firmen oder generell bei der Akquise von großen Gewerbe- und Industriekunden, aber auch im Privatkundenvertrieb?
Einem Teil der Bevölkerung ist das wichtig, aber das ist eine Minderheit. Der größte Teil der Privatkunden will vor allem billige Energie. Da machen wir uns keine Illusionen. Bei Geschäftskunden sehen wir eine größere Nachfrage nach Ökostrom und in Teilen sogar nach PPAs aus unseren Anlagen.
"Veränderungen frühzeitig anzugehen und die sich daraus ergebenden Chancen zu nutzen, das ist Teil unserer DNA."
Die Erreichung des Ökostromziels war für die SWM eine Kraftanstrengung. Wie viel Schwung und Zuversicht können Sie daraus jetzt mitnehmen für den nächsten, noch größeren Transformationsschritt, für die Wärmewende?
Sehr viel. Die Stadtwerke München waren historisch schon immer recht progressiv unterwegs, wenn es darum ging, Veränderungen frühzeitig anzugehen und die sich daraus ergebenden Chancen zu nutzen. Das ist Teil unserer DNA. Ich persönlich bin mit Blick auf die Wärmewende zuversichtlich. Wir werden natürlich mit Hindernissen konfrontiert sein, aber wir werden diese überwinden.
"Wir plädieren als Stadtwerke München immer dafür, die Aufmerksamkeit nicht so stark auf den Stromsektor zu legen, sondern verstärkt die Wärme- und Mobilitätswende in den Fokus zu nehmen."
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche will die staatliche Förderung für neue PV-Anlagen streichen. Wie stehen Sie zu dem Vorstoß und haben Sie Sorgen, dass die Energiewende in Deutschland an Fahrt verlieren könnte?
Ein Ausbremsen der Energiewende insgesamt hielte ich für einen Fehler. Aber stärker auf die Kosteneffizienz der Energiewende zu achten, ist sinnvoll. Auch vorherige Bundesregierungen haben regelmäßig geschaut, wo man nachsteuern und Dinge auf den Prüfstand stellen muss.
Davor habe ich keine Angst. Und wenn sich herausstellt, dass es nicht mehr sinnvoll ist, in bestimmten Regionen PV weiter auszubauen, weil sie schon das Dreifache der Nachfrage abdeckt, dann ist es vielleicht auch Teil der ökonomischen Vernunft.
Wir als SWM plädieren in der Debatte immer wieder dafür, die Aufmerksamkeit nicht so stark auf den Stromsektor zu legen, sondern verstärkt die Wärme- und Mobilitätswende in den Fokus zu nehmen. Dort haben wir in Deutschland beim Klimaschutz noch die größten Herausforderungen.
Das Interview führte Hans-Peter Hoeren



