"Jede zusätzliche Flexibilität hilft – sowohl für Netz als auch für Markt"

Das Bundeswirtschaftsministerium hat im September den Monitoringbericht "Energiewende. Effizient. Machen." vorgestellt. Erstellt wurde er von der BET Consulting GmbH aus Aachen und dem Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität zu Köln (EWI). Im Bericht geht es um Strombedarf, Versorgungssicherheit, Netze, erneuerbare Energien, Digitalisierung und Wasserstoff. Die ZfK sprach darüber mit Ralph Kremp und Sören Patzack, beide Partner bei BET Consulting, über Methodik, Datengrundlage und zentrale Ergebnisse, von Rechenzentren über Smart Meter bis zur Rolle der Verteilnetzbetreiber. 

Herr Kremp und Herr Patzack, wie war die Resonanz auf Ihren Monitoringbericht?

Ralph Kremp: Wir nehmen überwiegend Zustimmung wahr. Unser Ziel war es, die Sachlage nüchtern darzustellen und unterschiedliche Argumente einzubringen. Politische Entscheidungen können wir als Gutachter nicht treffen, das bleibt der Politik vorbehalten. Schon vor Veröffentlichung gab es viele Erwartungen und Forderungen, was im Bericht stehen solle. Jetzt interpretiert jeder das Ergebnis aus seiner Sicht. Inhaltlich gab es jedoch breite Zustimmung.

Sören Patzack: Etwa 90 Prozent der Rückmeldungen waren sehr positiv. Wir haben ein differenziertes Gutachten vorgelegt, das zentrale Themen anspricht. Natürlich gibt es Diskussionen und unterschiedliche Meinungen – das gehört bei Studien dieser Tragweite dazu.

Auf welcher Datengrundlage fußt Ihre Analyse?

Kremp: Wir haben rund 300 Quellen ausgewertet, also deutlich über die vom Auftraggeber vorgegebenen Anforderungen hinaus. Dazu kamen unsere langjährige Marktbeobachtung und eigene Expertise. Es gab zu keinem Zeitpunkt eine Einflussnahme des Ministeriums. Auf Nachfrage haben wir Daten erhalten, zum Beispiel aus dem Netzentwicklungsplan oder von der Bundesnetzagentur, aber wir hatten freie Hand in der Analyse.

Ein Punkt, der aktuell intensiv diskutiert wird, ist der Strombedarf von Rechenzentren. Wie bewerten Sie diesen Punkt?

Kremp: Wir sehen den steigenden Bedarf klar. In älteren Szenarien war das Thema noch relativ konservativ abgebildet, weil man die Dynamik nicht in diesem Ausmaß erwartet hat. Inzwischen hat die Dynamik deutlich zugenommen, und das ist auch in unseren Zahlen enthalten. Wir sehen einen deutlichen Anstieg, gerade durch Anwendungen wie Cloud Computing und künstliche Intelligenz. Für die Netzbetreiber heißt das, dass sie diese zusätzlichen Lasten frühzeitig in ihre Planungen aufnehmen müssen. Sonst laufen wir Gefahr, dass sich regionale Engpässe verstärken können. 

Beim Thema Smart Metering heißt es im Bericht, der systemische Nutzen müsse erhöht werden. Was verstehen Sie darunter?

Patzack: Digitalisierung und Flexibilisierung sind große Hebel, um Kosten zu senken. Zwar skaliert der Rollout seit dem GNDEW, aber der Nutzen wird noch nicht ausreichend gehoben. Verteilnetzbetreiber müssen die Daten stärker nutzen und auch die richtigen Instrumente erhalten, um steuernd eingreifen zu können. § 14a EnWG ist nur ein Übergangsinstrument, ein konsistenter Rahmen fehlt. Gleichzeitig braucht es Anreize: Messstellenbetreiber sollten profitieren, wenn sie schnell vorankommen, und Sanktionen erfahren, wenn sie die Ziele nicht erreichen.

Kremp: Entscheidend ist, dass wir Flexibilität gezielt nutzen, um Netzausbau zu vermeiden. Heute werden Netze noch nach Spitzenlast ausgelegt, obwohl diese nur wenige Stunden im Jahr auftreten. Mit intelligenter Steuerung könnten wir diese Lastspitzen abfedern und Milliarden einsparen. Wir vergleichen das oft mit dem Straßenbau: Niemand käme auf die Idee, eine Straße so breit auszubauen, dass alle Autos gleichzeitig fahren können. Man setzt stattdessen auf Ampeln oder Verkehrsregeln, um den Fluss zu steuern. Genauso sollten wir auch im Netz Flexibilitäten intelligent nutzen und steuern – und Smart Meter sind das technische Mittel dafür.

Ein Blick auf die aktuellen Steuertests zeigt allerdings eine Erfolgsquote von nur rund 40 Prozent. Warum so niedrig?

Patzack: Bei Anlagen über 100 kW kommt im Wesentlichen Fernwirktechnik oder noch Funkrundsteuertechnik zum Einsatz. Die Gründe für die geringe Erfolgsquote sind vielfältig: Teilweise wurden Kommunikationsnetze zurückgebaut. Aber auch Änderungen in der Kundenanlage oder IT-Systemumstellungen auf Netzbetreiberseite spielen eine Rolle. Manchmal lassen sich auch die in den Tests erhobenen Daten aufgrund von Datenlücken nicht zweifelsfrei auswerten. Im Ergebnis reagieren weniger Anlagen, als allgemein vermutet wurde. Das zeigt, dass wir die Steuerung von Kundenanlagen dringend auf digitale Steuertechnik und bidirektionale Schnittstellen umstellen müssen – dort werden die Erfolgsquoten deutlich höher sein.

Sie haben gesagt, Netzbetreiber müssten sich darauf verlassen können, dass Flexibilität im Bedarfsfall tatsächlich verfügbar ist. Welche regulatorischen Rahmenbedingungen fehlen dafür noch?

Kremp: Der Rechtsrahmen muss klarer formuliert werden. Es reicht nicht, wenn dort steht "du kannst steuern". Netzbetreiber müssen auch verpflichtet und angereizt werden, es tatsächlich zu tun. Dazu gehören Kostenanerkennung, transparente Vergleichbarkeit und auch gewisse Automatismen. Im Markt funktioniert das oft über Preissignale, im Netz aber brauchen wir eine sichere Zugriffsmöglichkeit. Das bedeutet aber auch für Einspeiser und Verbraucher, dass entsprechende Steuerungen ermöglicht werden.

Ein Netzbetreiber muss sich im Engpassfall darauf verlassen können, dass die benötigte Flexibilität auch tatsächlich verfügbar ist. Preissignale allein reichen dafür nicht aus. Deshalb geht es darum, Flexibilitäten nicht nur zu bepreisen, sondern sie im Zweifel auch zu sichern – durch Steuerung und klare Zugriffsrechte. Wir werben dafür, dass wir zusätzlich zu preislichen Anreizen eine netzbetreiberseitige Steuerung brauchen, damit dort, wo Flexibilitätspotenziale bestehen, auch gesichert darauf zugegriffen werden kann.

Wie würde so eine netzbetreiberseitige Steuerung aussehen?

Patzack: Wir benötigen einen konsistenteren Rahmen für Flexibilität. Heute existiert ein gewisser Flickenteppich an Instrumenten, wie beispielsweise § 14a EnWG, Redispatch 2.0, Nutzen statt Abregeln. Dass Prozesse und teilweise IT-Systeme für verschiedener Spannungsebenen jedoch unterschiedlich sind, oder Flexibilität durch Verbraucher, Erzeuger oder Speicher verschieden behandelt wird, hemmt die Nutzung. Wir sprechen uns deswegen für einen ganzheitlichen und harmonisierten Flexibilitätsrahmen aus, der netzdienliche und marktdienliche Instrumente, die präventiv oder kurativ wirken können, sinnvoll verzahnt. So könnten Synergien in Technologien, Prozessen und IT-Systemen konsequenter gehoben werden.

Wenn wir an die Praxis denken: Wie können gerade kleinere Netzbetreiber so komplexe Aufgaben stemmen?

Patzack: Kooperationen und Skaleneffekte sind entscheidend. Der Steuerungsrollout ist nicht allein eine technische, sondern auch eine organisatorische Herausforderung. Kleinere Netzbetreiber und Messstellenbetreiber können sich kaum eigene IT-Landschaften für diese Aufgaben leisten. Hier helfen gemeinsame Plattformen oder Kooperationen, auch mit wettbewerblichen Messstellenbetreibern oder spezialisierten Dienstleistern. Wettbewerb im Messwesen sorgt aus unserer Sicht genau für diese Innovation und Dynamik.

Apropos Wettbewerb, in der Branche sorgt Punkt 5 des Zehn-Punkte-Plans von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche für Diskussion. Dort heißt es, die Verantwortung für den Smart-Meter-Rollout soll auf die Verteilnetzbetreiber übergehen. Wie sehen Sie das?

Kremp: Wir sehen darin nicht unbedingt einen Widerspruch zu unserer Empfehlung, den Wettbewerb im Messwesen zu erhalten. Grundzuständigkeit und Netzbetrieb enger zu verzahnen, kann sinnvoll sein. Wichtig ist die Kostenanerkennung, damit keine ökonomische Barriere entsteht. Die Einspareffekte durch systemischen Nutzen übersteigen die Kosten bei weitem. Gleichzeitig halten wir den wettbewerblichen Messstellenbetrieb für unverzichtbar – er sorgt für Innovation, Dynamik und Skaleneffekte.

Patzack: Genau. Wettbewerb im Messwesen hat sich bewährt und sollte unbedingt beibehalten werden.

Sie schreiben im Bericht auch, dass ein Full-Rollout intelligenter Messsysteme geprüft werden sollte. Warum?

Patzack: Je größer die Stückzahlen, desto höher die Skaleneffekte und geringer die Kosten pro Einbaufall. Außerdem lassen sich dann mehr Flexibilitäten heben – sowohl für Netz als auch für Markt. Dynamische Tarife gewinnen an Bedeutung, Preisspitzen am Markt nehmen zu. Jede zusätzliche Flexibilität hilft. Deshalb sagen wir: Prüfen, ob ein Full-Rollout nicht sinnvoll wäre.

Zum Schluss eine organisatorische Frage: Wie groß war der Aufwand für die Erstellung des Berichts?

Kremp: Sehr hoch. Wir haben deutlich mehr Zeit investiert, als über die Beauftragung abgedeckt war. Uns war wichtig, eine hohe Qualität abzuliefern – da gab es auch ein paar unruhige Nächte. Offiziell war die Abgabe zum 31. August vorgesehen. Wir haben den Entwurf fristgerecht geliefert. Allerdings stand das Versorgungssicherheitsmonitoring der Bundesnetzagentur kurz bevor. Auf unseren Wunsch hat das Ministerium zugestimmt, den Bericht erst nach diesem wichtigen Dokument zu veröffentlichen. Deshalb erfolgte die endgültige Abgabe Anfang September, kurz vor der Pressekonferenz.

Das Interview führte Stephanie Gust

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