"Wir müssen uns darauf einstellen, dass mehr Leitungen angegriffen werden"

Von Julian Korb

Die Gefahr von Angriffen auf die Energieinfrastruktur ist in Deutschland derzeit so hoch wie lange nicht mehr. Florian Bieberbach, Vorsitzender der Geschäftsführung der Stadtwerke München, warnte am Donnerstag im Kopernikus-Presseclub eindringlich vor den zunehmenden Bedrohungen. So hätten Cyberangriffe bereits vor dem Ukraine-Krieg deutlich zugenommen. Diese seien vor allem auf russlandfreundliche Hacker-Gruppierungen zurückzuführen.

"Wir haben aber auch viele Angriffe auf Umspannwerke, Kraftwerke, Leitungen und den öffentlichen Nahverkehr erlebt", so Bieberbach weiter. Die Stadtwerke München hätten die Maßnahmen massiv hochfahren müssen.

Im Jahr 2021 waren bei einem Brandanschlag in München zahlreiche Leitungen beschädigt worden. Rund 20.000 Haushalte waren zeitweise ohne Strom. Anfang September dieses Jahres kam es in Berlin zu einem ähnlichen Anschlag. Mutmaßliche Täter in beiden Fällen: linksextremistische Gruppen. Auch in Hamburg, Leipzig und Nordrhein-Westfalen ist es bereits zu ähnlichen Anschlägen gekommen.

Absicherung von Kabeltrassen

Die große Herausforderung für Netzbetreiber: Lange Leitungen über Land sind sehr schwer zu schützen. Tausende Kilometer an Hochspannungsleitungen könnten nicht rund um die Uhr überwacht werden. Zaunanlagen, Videoüberwachung oder Drohnenpatrouillen helfen nur punktuell.

Laut dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) investieren Netzbetreiber bereits jetzt jährlich über eine Milliarde Euro in die Sicherung kritischer Infrastruktur. Allein der Schutz eines großen Umspannwerks mit Kameras, Zugangskontrollen und Sicherheitspersonal kann dabei bis zu fünf Millionen Euro kosten. Besonders teuer ist die Absicherung von Kabeltrassen in Ballungsräumen: Hier liegen die Mehrkosten laut Bundesnetzagentur bei 20 bis 30 Prozent über dem eigentlichen Baupreis.

Autarke Inseln wieder einführen

"Wir müssen uns darauf einstellen, dass diese Leitungen angegriffen und außer Betrieb gesetzt werden", warnt der Münchener Stadtwerke-Chef Bieberbach. Neben besserem Schutz brauche es daher auch mehr Resilienz im System. "Wir müssen wieder mehr autarke Inseln in Deutschland definieren, die bei Zusammenbruch der überregionalen Netze über mehrere Tage autark funktionieren können."

Zumindest in Ballungsräumen brauche es möglichst stabile Systeme im Krisenfall. "Im Kalten Krieg waren wir da schon deutlich weiter", betont Bieberbach. Die Bundesregierung müsse darüber nachdenken, diese Systeme wieder aufzubauen. Anders als im Kalten Krieg, als das Rückgrat der Energieversorgung aus fossilen Energien bestand, müsse in Zukunft hingegen stärker über Strom-, Wärme- und womöglich auch Gasspeicher gesprochen werden.

Dilemma beim Netzausbau

Tatsächlich sieht auch die Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung von 2023 vor, sogenannte "Resilienzräume" zu schaffen – etwa Stadtteile oder Regionen, die mit lokalen Kraftwerken oder Speichern für einige Tage unabhängig vom überregionalen Netz bestehen können.

Der Netzausbau gilt als Rückgrat der Energiewende – doch je weiter Leitungen über Land reichen, desto anfälliger sind sie für Attacken. Experten sprechen von einem Dilemma: Erdverkabelung schützt zwar vor physischen Angriffen, ist aber bis zu viermal teurer als Freileitungen. Freileitungen dagegen sind sichtbar, schneller zu errichten – und leichter angreifbar.

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