Studie: Dezentrale Energielösungen haben Nutzen von 255 Milliarden Euro
Von Julian Korb
Eine neue Studie der Unternehmensberatung Roland Berger im Auftrag des Solaranbieters Enpal zeigt: Dezentrale Energielösungen sind keine optionale Ergänzung, sondern ein dringend notwendiges Systemupgrade für die deutsche Energiewende. Über 20 führende Unternehmen der Branche fordern nun klare politische Rahmenbedingungen, um das enorme Wertschöpfungspotenzial zu heben.
Die sogenannte gesamtkosteneffiziente Energiewende in Deutschland benötigt demnach drei tragende Säulen, wie die am Dienstag vorgestellte Studie verdeutlicht: den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien, den bedarfsgerechten Einsatz von Back-up-Kapazitäten und die proaktive Nutzung dezentraler Lösungen. Zu letzteren zählen PV-Batteriesysteme, Wärmepumpen sowie Elektromobilitätslösungen wie Elektrofahrzeuge und Wallboxen. Diese dritte Säule sollte künftig deutlich stärker im Fokus stehen und konsequent integriert werden, betonen die Studienautoren.
Bis zu 13 Milliarden Euro jährliche Wertschöpfung
Die konkreten Zahlen: Dezentrale Energielösungen können bis 2045 einen wirtschaftlichen Mehrwert von 185 bis 255 Milliarden Euro für das deutsche Energiesystem erzielen. Das entspricht einer jährlichen Wertschöpfung von bis zu 13 Milliarden Euro – rund 50 Prozent des Jahresbudgets des Klima- und Transformationsfonds.
Dieser Mehrwert ergibt sich aus mehreren Faktoren: einer Erhöhung der Gesamtkosteneffizienz im Energiesystem durch Reduktion von Investitions- und laufenden Kosten, einer Steigerung der lokalen Wertschöpfung durch neue Arbeitsplätze sowie durch direkte Effekte bei Verbrauchern und KMU durch gesunkene Energiekosten.
Massive Einsparungen bei Netzinvestitionen
Besonders relevant für Netzbetreiber: Das Einsparpotenzial intelligent integrierter dezentraler Lösungen bei den Netzinvestitionen beläuft sich bis 2045 auf bis zu 1,4 Milliarden Euro pro Jahr. Das entspricht 40 bis 50 Prozent der auf Niederspannungsebene geplanten Ausbauinvestitionen. Zudem können dezentrale Lösungen die Flexibilitätskosten – verstanden als Redispatchkosten – um rund 40 Prozent senken.
"Dezentrale Energielösungen zeigen viele Vorteile. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zu einem gesamtkosteneffizienten und weniger von fossilen Erzeugungsformen abhängigen Energiesystem", erklärt Marc Sauthoff, Senior Partner Civil Economics, Energy & Utilities bei Roland Berger. Gerade im Bereich der dezentralen Energielösungen liege ein noch nicht ausgeschöpftes Potenzial, um die Kosten der Energiewende deutlich zu reduzieren.
Haushalte sparen bis zu 1200 Euro jährlich
Das größte Potenzial liegt direkt bei den Endverbrauchern: Durch Einsparungen im Vergleich zum Netzbezug sowie durch private Investitionen könnten 120 bis 160 Milliarden Euro an zusätzlicher Wertschöpfung entstehen. Private Haushalte und KMU können ihre Energiekosten im Mittel um rund 50 Prozent senken. Für Privathaushalte ergibt sich ein jährliches Einsparpotenzial von rund 900 bis 1200 Euro bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 4000 Kilowattstunden (kWh) pro Jahr.
Mit dezentralen Energielösungen entwickeln sich Prosumer zu sogenannten Flexumern: Sie verbrauchen und erzeugen nicht nur Strom, sondern reagieren auch flexibel auf Preissignale und leisten so einen aktiven, systemdienlichen Beitrag zur Netzstabilität.
Auch arbeitsmarktpolitisch ist das Potenzial erheblich: Dezentrale Lösungen können bis 2045 rund 100.000 Arbeitsplätze schaffen – das entspricht einer kumulierten Steigerung von über 30 Prozent gegenüber den derzeit etwa 280.000 Arbeitsplätzen bei den erneuerbaren Energien.
Branche fordert politische Weichenstellung
Über 20 Unternehmen aus dem Bereich der dezentralen Energielösungen haben sich zu einer neuen Initiative zusammengeschlossen. Dazu gehören unter anderem 1Komma5Grad, Enpal, Lichtblick, Octopus Energy, Thermondo und Volkswagen Group Charging (Elli) sowie Bosch, E3DC, Sonnen und Vonovia.
Die Initiative fordert klare politische Rahmenbedingungen: einen konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien, eine systemdienliche Anpassung der Netzentgelte, die Digitalisierung des Energiemarktes, die Förderung dezentraler Lösungen sowie den beschleunigten Ausbau von Smart Grids und die Einführung des bidirektionalen Ladens.
"Die Debatte um ein Entweder-oder verfehlt das Ziel", betont Benjamin Merle-Oberheide, Strategiechef und CPO von Enpal. "Entscheidend ist, welche Lösungen mit geringstem Aufwand den größten Nutzen bringen. Dabei sind dezentrale Ansätze die 'low hanging fruits' – wir sollten sie endlich besser in unser Energiesystem integrieren."
Marc Wallraff, CEO von LichtBlick, ergänzt: "Auf dem Weg zur klimaneutralen Stromversorgung brauchen wir das intelligente Zusammenspiel von erneuerbaren Energien, Großspeichern und flexiblen Verbrauchern, verknüpft durch stabile Netze und Digitalisierung." Die Studie zeige, dass allein der Ausbau dezentraler Lösungen rund 13 Milliarden Euro Wertschöpfung pro Jahr hebe – genau das, was Deutschland jetzt brauche, um die Wirtschaft anzukurbeln und Innovationen zu fördern.



