Ein Kommentar von
Merlin Lauenburg,
Geschäftsführer Tibber Deutschland

Der jüngste Monitoringbericht der Bundesregierung zur Energiewende ist eine handfeste, gut gemachte Analyse. Er offenbart jedoch auch eine besorgniserregende Entwicklung: Statt die Elektrifizierung von Wärme und Mobilität konsequent voranzutreiben, korrigiert die Politik ihre Ambitionen nach unten – und setzt dabei die falschen Prioritäten.

Besonders auffällig ist die Stromverbrauchsprognose für 2030, die um rund100 Terawattstunden niedriger ausfällt als die Einschätzung der Bundesnetzagentur. Handwerklich ist die Studie von BET Consulting und dem EWI sauber gemacht, keine Frage. Doch die Folgerung des Bundeswirtschaftsministeriums ist problematisch: Der aktuell stockende Hochlauf von E-Autos und Wärmepumpen wird nicht als Problem erkannt, das es zu lösen gilt, sondern als Maßstab für die künftige Planung genommen. Die Folge: Geringere Ambitionen beim Ausbau erneuerbarer Energien und der Netzinfrastruktur. Der Zehn-Punkte-Plan von Katherina Reiche zeigt bereits, wohin diese Logik führt – zu einem weniger entschiedenen Auftreten bei der Energiewende.

Gaskraftwerke statt dezentrale Flexibilitäten – Ein teurer Irrweg

Was sich aus dem Monitoringbericht nicht schlüssig ableiten lässt, wird dennoch als Konsequenz präsentiert: Ein übermäßiger Fokus auf Gaskraftwerke und kaum Klarheit zum Hochfahren der Flexibilisierung, die der Bericht jedoch ganz klar als systemrelevant darstellt. Die Begründung, die aktuelle Energiewende mit erneuerbaren Energien und Flexibilität sei zu teuer, entbehrt jeder wirtschaftlichen Grundlage. Die Gestehungskosten sprechen eine klare Sprache: Erneuerbare liegen bei 4 bis 23 Cent pro Kilowattstunde, Gaskraftwerke bei 20 bis 30 Cent. Wer verstärkt auf Gas setzt, begibt sich in eine teure und schwer planbare Abhängigkeit – sowohl bei Preisen als auch bei der Lieferfähigkeit. Das sollten wir aus der Vergangenheit gelernt haben.

Stattdessen sollten wir konsequent auf den Ausbau erneuerbarer Energien setzen, die nicht nur günstigen Strom liefern, sondern auch geopolitische Unabhängigkeit schaffen. Doch während sich das BMWE verbal zum Thema Erneuerbare und Flexibilität bekennt, bleibt erschreckend unklar, was das konkret bedeuten soll.

Das unterschätzte Potenzial der Flexibilität

Dabei liegen die Lösungen auf der Hand. Allein 350.000 intelligent gesteuerte E-Autos können ein Gaskraftwerk kompensieren, wenn wir beim bidirektionalen Laden und beim Smart-Meter-Rollout den Turbo einlegen. Der Versorgungssicherheitsbericht der Bundesnetzagentur beispielsweise geht von 6,6 Gigawatt installierter Leistung durch bidirektionales Laden bis 2035 aus – ein enormes Potenzial für flexible Nachfrage und Netzunterstützung. Im besten Fall könnten insgesamt 79 Gigawatt zeitlich flexibel verbraucht werden. Dadurch würde sich der Anteil des erneuerbar produzierten Stroms, der auch tatsächlich genutzt wird, deutlich erhöhen. In der Praxis sind es derzeit nur 30 Gigawatt. Diese Lücke zu schließen wäre deutlich günstiger als der Bau zahlreicher Gaskraftwerke.

Der Schlüssel: Vollrollout intelligenter Messsysteme

Die Voraussetzung dafür ist eine flächendeckende digitale Infrastruktur. Doch hier bremst sich Deutschland massiv selbst aus. Aktuell liegt der Gesamtrollout intelligenter Messsysteme bei drei bis vier Prozent, im Pflicht-Rollout sind es schätzungsweise 18 Prozent. Über ein Drittel der Messstellenbetreiber hatte Ende des ersten Quartals 2025 noch kein einziges intelligentes Messsystem installiert. Während wir auf der Erzeugungsseite erfolgreich sind, straucheln wir dabei, die Verbraucher:innen-Seite einzubinden.

Doch es gibt Hoffnung: Einzelne Messstellenbetreiber zeigen bereits, wie es geht. Sie rollen nicht nur im Pflicht-Bereich aus, sondern nutzen die Gelegenheit, auf einen Streich ganze Straßenzüge zu digitalisieren. Das ist wirtschaftlich klug und spart Anfahrtskosten. Dieses Vorgehen muss zur Regel werden, nicht Ausnahme bleiben.

Das Problem geht allerdings über die reinen Zahlen hinaus: Mit dem Fokus auf den selektiven Pflicht-Rollout halten wir das Bewusstsein für Smart Meter, Flexibilisierung und intelligente Energie künstlich niedrig. Eine aktuelle Umfrage der von uns mitgegründeten Smart-Meter-Initiative zeigt: 58 Prozent der Deutschen wissen nicht, was ein Smart Meter ist – im Vergleich zum Vorjahr konnten nur zwei Prozent mehr Befragte etwas mit dem Begriff anfangen. Dieses fehlende Bewusstsein wirkt direkt auf die Nachfrage nach E-Autos, Wärmepumpen und Batteriespeichern zurück – ein Teufelskreis.

In Norwegen und Schweden gibt es bereits einen Vollrollout an intelligenten Zählern seit den 2000er-Jahren. Die Menschen wissen dort monatlich, was sie an Stromkosten haben, verstehen die Möglichkeiten der Flexibilisierung und nutzen sie. Die Elektrifizierung von Wärme und Mobilität ist dort deutlich schneller abgelaufen.

Einheitliche Prozessstandards und Wettbewerb beschleunigen den Rollout

Viele fragen sich an dieser Stelle oft: Okay, wir brauchen Flexibilisierung und einen schnelleren Rollout. Aber wie? Die Antwort darauf ist zweigeteilt: Einerseits muss der Pflicht-Rollout beschleunigt und vereinfacht werden. Das gelingt, indem Netzbetreiber funktionierende Anreize dafür erhalten, aktive Treiber der Energiewende zu werden und tatsächlich mehr Smart Meter zu verbauen, statt zu bremsen – und durch klare Sanktionen für die Verschleppung der Rolloutquoten. Wo Quoten nicht erfüllt werden, sollte der Messstellenbetrieb für den Wettbewerb geöffnet werden. Der Rollout sollte nicht allein Sache der Verteilnetzbetreiber sein, wie es der Monitoringbericht nahelegt. Auf der anderen Seite müssen wir mit einem Smart Meter light eine vereinfachte Hardware in die Haushalte bringen. Das ist günstiger und geht schneller und baut auf bestehender Technik auf.

Die Politik steht an einer Weggabelung: Entweder wir nehmen die Elektrifizierung ernst, schaffen die digitale Infrastruktur dafür und setzen auf günstige erneuerbare Energien – oder wir laufen in die nächste teure Abhängigkeit. Die Antwort sollte eigentlich klar sein.

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