Kooperation statt Konkurrenz: Stadtwerke Hamm setzen auf gemeinsame Projekte

Nach einem guten Ergebnis im Geschäftsjahr 2024 richtet sich der Blick nach vorn: Der Geschäftsführer der Stadtwerke Hamm, Reinhard Bartsch, erklärt im zweiten Teil des Interviews, wie die Stadtwerke Hamm den Spagat zwischen Eigenkapitalquote, steigenden Investitionen und ambitionierten Klimazielen meistern wollen.

Herr Bartsch, wohin entwickelt sich Ihre Wärmestrategie?
Wir setzen stark auf Fernwärme und Nahwärme. Unser Fernwärmeanteil liegt aktuell bei rund 9 Prozent. Diesen wollen wir deutlich steigern. Wie hoch der Fernwärmeanteil dann final sein wird, hängt von der kommunalen Wärmeplanung ab – die ist noch nicht abgeschlossen.

Aktuell prüfen wir die Wirtschaftlichkeit. Eine rein theoretische Vollversorgung des Stadtgebiets würde rund eine Milliarde Euro kosten. Das ist natürlich unrealistisch. Aber auch 500 Millionen Euro wären eine immense Summe. Unser aktueller Investitionshaushalt liegt bei 35 bis 50 Millionen Euro jährlich – das reicht bei weitem nicht.

"Fernwärme aus dem Rücklauf – das ist innovativ."

Den Fernwärmeausbau planen wir vor allem in Gebieten mit Mehrfamilienhäusern. Eine wirtschaftliche Erschließung von Einfamilienhausgebieten für die Fernwärme ist hingegen kaum darstellbar. Im letzten Jahr haben wir erstmals 900 Wohnungen an die Fernwärme angeschlossen – aus dem Rücklauf. Wir geben Wasser mit rund 130 Grad aus, und selbst der Rücklauf hat noch etwa 80 Grad. Damit können wir modern gedämmte Gebäude noch effizient beheizen. Das ist ein echter Innovationssprung.

Auf welche Quellen wollen Sie bei der grünen Fernwärme der Zukunft setzen?
Unsere gesamte Fernwärme stammt derzeit zu fast 100 Prozent aus der Müllverbrennung. Beim Strom sind es rund 15 Prozent. Das ist ein großer Vorteil. Zudem ist vorgesehen, künftig Abwärme aus der Industrie für die Fernwärmeversorgung zu nutzen. Durch intelligente Nutzung des Rücklaufs sehen wir hier noch viel Potenzial – etwa für bis zu 3000 weitere Wohnungen. Das wird konkret umgesetzt.

Wenn Sie jetzt massiv Fernwärme ausbauen wollen, wie wirkt sich das auf die Stadt aus?
Die größte Herausforderung ist der Tiefbau – insbesondere für die Transportleitungen. Die Rohre sind isoliert, müssen doppelt verlegt werden und passen nicht einfach in einen Bürgersteig. Das bedeutet: Wir müssen Hauptstraßen aufreißen. Und das sind massive Baustellen mit spürbaren Auswirkungen auf den Verkehr.

Gibt es Alternativen in abgelegenen Stadtteilen?
Ja, dort setzen wir auf Wärmepumpen. Fernwärme ist für dicht besiedelte Gebiete ideal, in der Fläche aber schwer zu realisieren.

Wie ist der Stand der Dinge beim Wasserstoffzentrum "H2Hamm"?
Wir sind bereit: Grundstück, Genehmigungen, Ausschreibung – alles steht in den Startlöchern. Das Problem ist die Abnahme des Wasserstoffs. Die politische Unterstützung ist aktuell wankelmütig.

Wir glauben auch nicht, dass Deutschland jemals den eigenen Wasserstoffbedarf decken kann. Der grüne Wasserstoff wird aus Ländern kommen müssen, die regenerative Energie im Überfluss haben. Unsere Aufgabe ist es, diesen Wasserstoff sinnvoll zu nutzen – nicht zum Heizen, sondern in industriellen Prozessen oder im Verkehr.

Ihre Elektrolyseanlage könnte 1500 Tonnen Wasserstoff jährlich produzieren. Wie viel davon ist für Hamm gedacht?
Etwa ein Sechstel der Menge, also rund 250 Tonnen, ist für uns vorgesehen. Das entspricht unserem Bedarf. Die restliche Menge ist für externe Abnehmer vorgesehen. Es gibt dafür keine vertragliche Verpflichtung, aber wir stehen mit diversen Gasherstellern in Gesprächen.

In Deutschland gibt es über zehn relevante Anbieter – mit allen sprechen wir. Das Interesse ist da, aber final abgeschlossen sind die Verhandlungen noch nicht. Sobald wir hier Klarheit haben, kann gebaut werden.

Ist der Zeitplan dadurch gefährdet?
Nein, noch nicht. Wir haben immer gesagt, dass wir 2027 in Betrieb gehen wollen – und das können wir auch noch schaffen. Die Gespräche mit den Abnehmern laufen derzeit sehr intensiv. Alle anderen Voraussetzungen sind erfüllt.

Wie sieht es mit dem Hersteller der Anlage aus?
Wir sind aktuell in Verhandlungen mit zwei Anbietern, deren Namen noch nicht publik sind. Insgesamt hatten wir drei ernsthafte Bewerber. Einer ist wegen des Preises ausgefallen, die beiden anderen lagen sehr nah beieinander. Jetzt geht es darum, wer welche Garantien übernimmt – etwa bei Lieferverzögerungen.

Insgesamtwerden aktuell nur wenige von solchen Anlagen gebaut. Ich würde nicht sagen, dass die Lage auf der Herstellerseite entspannt ist, aber wir haben aktuell keinen Druck. Die Hersteller stehen bereit, und die Lieferzeiten sind realistisch.

Kritiker sagen: In Deutschland läuft keine einzige Elektrolyse-Anlage wirtschaftlich – nur als Pilot oder mit Förderung. Gilt das auch für Ihr Projekt?
Das ist leider so – auch bei uns. Wir haben eine Förderung vom Land erhalten. Ohne diese wäre das Projekt derzeit nicht wirtschaftlich darstellbar. Im Verkehrssektor ist die Konkurrenzsituation hart – aber unsere geplanten Abgabepreise ab Elektrolyse wären durchaus konkurrenzfähig.

Aber Sie haben bereits H2-Busse bestellt?
Ja, wir haben 30 Wasserstoffbusse bestellt, die noch dieses Jahr geliefert werden. Wir brauchen aber verlässliche Rahmenbedingungen, damit wir auch den Baubeschluss für das Zentrum fassen können.

Und Sie planen auch ein neues Kraftwerk?
Genau. Wir haben eine gemeinsame Gesellschaft mit der Trianel und weiteren Stadtwerken gegründet. Ziel ist es, einen dritten Block am Standort des Trianel-Gaskraftwerks Hamm zu errichten – "Wasserstoff-ready". Die Anbindung ans Wasserstoffnetz ist vorgesehen. Wenn die Kraftwerksstrategie ausgeschrieben wird, wollen wir dabei sein.

Sie halten also an dem Thema Wasserstoff im Verkehr fest. Dabei ist die H2-Mobilität zuletzt ins Stocken geraten. Woran liegt das?
Das stimmt, das Interesse ist deutlich zurückgegangen, seit die Fahrzeugförderung weggefallen ist. Vor zwei Jahren wäre das überhaupt kein Thema gewesen – da haben sie uns die Bude eingerannt. Heute herrscht eine gewisse Zurückhaltung. Ein weiteres Problem: die Tankstelleninfrastruktur. Wer baut eine Tankstelle, wenn es kaum Fahrzeuge gibt? Und die Fahrzeugkäufer fragen: Wo soll ich denn tanken?

Sehen Sie auch langfristig Potenzial für Wasserstoff, etwa in der Landwirtschaft?
Absolut. In der Landwirtschaft wird eine Dekarbonisierung mit Strom nicht möglich sein. Die heutigen Maschinen sind riesig. Wir haben ausgerechnet, dass ein Traktor für fünf Stunden Pflügen etwa zehn Tonnen Batterien mitführen müsste. Das ist schlichtweg unrealistisch. Ethanol-Lösungen sind ebenfalls begrenzt. Da wird Wasserstoff definitiv eine Rolle spielen.

Das Interview führte Artjom Maksimenko

Lesen Sie im ersten Teil des Interviews mit Reinhard Bartsch, welche Geschäftsbereiche 2024 das Rekordergebnis der Stadtwerke Hamm geprägt haben.

In einer gekürzten Fassung erschien das Interview in der NRW-Beilage der aktuellen Printausgabe der ZfK. Hier geht es zum E-Paper.

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