Der Anschlag auf die kritische Infrastruktur in Berlin ist ein Weckruf für unsere Versorgungssicherheit

Gastbeitrag von
Nora Schmidt-Kesseler,
Hauptgeschäftsführerin
Verband der Chemischen Industrie, Landesverband Nordost

"Extreme Gefahr" – mit diesen Worten hat mich meine Warn-App am 9. September alarmiert. Der Grund: In der Nacht war ein gezielter Brandanschlag auf Strommasten im Berliner Südosten verübt worden. Mit dem Anschlag, zu dem sich inzwischen mutmaßliche Linksextremisten bekannt haben, sollte vor allem der Berliner Technologiepark Adlershof getroffen werden. Was folgte, war ein Realitätsschock für uns alle: Der Stromausfall dauerte rund 60 Stunden an. Tausende Haushalte, Unternehmen und Pflegeeinrichtungen waren tagelang ohne Stromversorgung. Notrufsysteme fielen aus, Patienten mussten verlegt werden, es herrschte Verkehrschaos wegen ausgefallener Ampeln.

Auch unsere chemisch-pharmazeutische Branche traf der Ausfall mit voller Wucht. Unser Bildungswerk in Adlershof musste schließen, die Produktion von Medikamenten kam zum Erliegen, Apotheken kämpften verzweifelt darum, ihre Arzneimittel zu kühlen. Das zeigt exemplarisch, wie fragil unsere kritische Infrastruktur ist und welche Katastrophe ein flächendeckender Stromausfall nicht nur für Anwohnerinnen und Anwohner und Unternehmen, sondern für die Gesundheitsversorgung für uns alle bedeuten würde.

Wenn die Medikamente ausgehen

Stellen Sie sich vor: In einem pharmazeutischen Betrieb fallen plötzlich alle Maschinen aus. Die aufwändigen Reinräume, in denen sterile Medikamente hergestellt werden, verlieren ihre Klimatisierung. Kühlketten für Impfstoffe brechen zusammen – binnen Stunden sind Millionenwerte an Arzneimitteln unbrauchbar. Produktionslinien für lebenswichtige Medikamente wie Insulin, Antibiotika oder Blutdrucksenker stehen still.

Die Folgen sind dramatisch: Apotheken können ihre Lagerbestände nicht nachfüllen, da auch Transport und digitale Bestellsysteme lahmliegen. Krankenhäuser geraten in Notlage, wenn Medikamente fehlen. Bei chronisch Kranken führt das schnell zu gesundheitlichen Krisen – im schlimmsten Fall zu vermeidbaren Todesfällen. Der wirtschaftliche Schaden für die Hersteller und unser Gesundheitssystem ist enorm – doch die menschlichen Tragödien dahinter sind unermesslich.

KRITIS-Dachgesetz: Guter Anfang, aber nicht ausreichend

Mit dem KRITIS-Dachgesetz hat das Bundeskabinett einen wichtigen Schritt gemacht. Es stärkt die Sicherheit langfristig und macht unsere Medikamentenversorgung krisenfester. Doch was bedeutet das in der Praxis? Für mittelständische Unternehmen führt es zunächst einmal zu einem hohen Aufwand und Kosten. Wenn die Vorgaben zu abstrakt bleiben, könnte ein weiteres Bürokratiemonster geschaffen werden, das einen unverhältnismäßigen Dokumentationsaufwand verursacht – ohne echten Sicherheitsgewinn.

"Das Gesetz allein löst unser Grundproblem nicht."

Wichtiger noch: Das Gesetz allein löst unser Grundproblem nicht. Wir brauchen eine stabile, zuverlässige Energieversorgung zu bezahlbaren Preisen. Wind und Sonne sind zwar wichtig für die Energiewende, aber sie können keine Medikamentenfabrik am Laufen halten, wenn gerade Flaute herrscht oder Wolken aufziehen.

Was uns der Vorfall lehrt

Wir haben gesehen, wie verletzlich unser Energienetz ist. Für die chemisch-pharmazeutische Industrie und die Wirtschaft insgesamt geht es dabei nicht nur um finanzielle Verluste. Unsere Anlagen und Produkte sind systemrelevant. Wir brauchen deshalb auch grundlastfähige Stromerzeugungskapazitäten. Der Blackout in Berlin ist ein deutlicher Weckruf. Versorgungssicherheit ist kein Zukunftsthema. Schon jetzt entscheidet sie über wirtschaftliche Stabilität und die lebenswichtige Versorgung der Bürgerinnen und Bürger.

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