Start-up Kniit erschafft digitales Gedächtnis für die Energiebranche

Das Beratungsunternehmen Cerebricks ebnet mit der Beteiligung am neuen Start-up Kniit den Weg, systemrelevantes Wissen für die Energiewirtschaft digital zu sichern, bevor Generationen an Spezialisten aus der Branche ausscheiden. Kniit bietet datenbasierte Lösungen und Anwendungen, indem energiespezifisches Fachwissen in Form von Knowledge-Graphen zugänglich gemacht wird. 

Damit stellen sich beide Unternehmen der wachsenden Kluft aus Fachkräftemangel und Transformationsdruck entgegen, die den deutschen Energiemarkt belastet. ZfK sprach mit Cerebricks-Geschäftsführer Tony Polakel und Kniit-Geschäftsführer Henrik Ostermann.

Wie kam die Idee zustande, eine neue Software für die Energiebranche zu entwickeln?

Henrik Ostermann: Cerebricks ist ein Beratungshaus, das sich mit der Transformation der Energiewirtschaft beschäftigt, und aus der Perspektive sieht man ganz klar einen Mangel an Know-how beziehungsweise an Köpfen, die dieses Know-how haben.

Tony Polakel: Eine weitere Problematik ist Komplexität. Besonders in der Energiewirtschaft, die schnelllebig ist und ständig Anpassungen erlebt, gibt es unheimlich viele Parameter, die es zu berücksichtigen gibt. Hinzu kommt die technologische Herausforderung, dass SAP auf neue Releases umstellt, neue Prozesse dazukommen und dadurch ein hoher Personalbedarf besteht.

"Bestehende Experten und Expertinnen verlassen das Unternehmen oder gehen in Rente, und das führt zu Engpässen. Künstliche Intelligenz kann an der Stelle unterstützen."

Der demografische Wandel ist ein weiterer Faktor. Bestehende Experten und Expertinnen verlassen das Unternehmen oder gehen in Rente, und das führt zu Engpässen. Künstliche Intelligenz kann an der Stelle unterstützen, und genau das haben wir uns überlegt. Die Idee entstand aus der Forschung heraus: Wie kann man diese Technologie für die Branche anwenden und nutzen?

Was Kniit macht – Knowledge-Graphen aufbauen – diese Grundidee lässt sich natürlich auch auf andere Branchen übertragen. Der Fokus auf die Energiewirtschaft hängt mit unserem Background zusammen, wir sehen in diesem Bereich einen extrem hohen Bedarf an skalierbarem Know-how.

Ostermann: Energiewirtschaft macht für uns auch Sinn, weil wir natürlich erstmal Zugriff auf das Know-how haben müssen, damit wir es digitalisieren können. Zum einen erkennen wir das Problem, zum anderen haben wir die Fähigkeiten, eine Lösung zu schaffen.

Was ist der Status Quo bei Kniit?

Polakel: Kniit ist aus einem Forschungsprojekt entstanden und die Entwicklung läuft schon seit fast zwei Jahren im Hintergrund. Aber jetzt geht es richtig los und wir gehen an den Markt.

Sie haben gerade das Thema Forschung angeschnitten. Hat es Statistiken gegeben, die die Grundidee noch mal gepusht haben?

Polakel: Gerade mit Blick auf den Generationenwechsel gibt es Prognosen, dass zukünftig über 60 Prozent der erfahrenen Mitarbeitenden das Unternehmen in den nächsten zehn Jahren verlassen werden. Das trifft so auch konkret auf unsere Kunden zu. An Nachwuchskräften kommen nicht genug Neue nach und die Ausbildung ist sehr langwierig.

"Im Moment lässt sich schon ein Großteil so automatisiert als Lösungsvorschlag erarbeiten, dass man einfach um den Faktor vier Zeit und damit auch an Kosten optimieren kann."

Wir verfügen über Statistiken bei recht konkreten Anwendungsfällen. Als Beispiel: Bei Fehlerfällen muss sich ein Sachbearbeiter Lösungen normalerweise manuell erarbeiten und gegebenenfalls Rücksprache mit Beratern halten. Dort lassen sich die Prozesskosten in 80 Prozent aller Fälle um den Faktor vier verkürzen. Die KI kann nicht alles lösen, denn bei einem gewissen Komplexitätsgrad sind wir noch nicht angekommen. Aber im Moment lässt sich schon ein Großteil so automatisiert als Lösungsvorschlag erarbeiten, dass man einfach um den Faktor vier Zeit und damit auch an Kosten optimieren kann.

Ostermann: Es gibt in Deutschland 4200 Unternehmen, die sich mit dem Meter-to-Cash-Prozess beschäftigen oder ihn nutzen. Das umfasst Strom- und Gaslieferanten sowie Strom- und Gas-Netzbetreiber. All diese Unternehmen müssen Formatwechsel vornehmen und dabei ohnehin neuen Anforderungen gerecht werden. Die Tatsache, dass bis 2030 720 Milliarden Euro in die Energiewende investiert werden sollen, erzeugt zusätzlichen Transformationsdruck, und das bei gleichzeitiger Abnahme der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte.

Es scheiden mehr Leute aus Unternehmen aus als reinkommen. Die Einarbeitung neuer Mitarbeitenden braucht sehr viel Zeit. Gerade wenn es um erfahrene Spezialisten geht, die über 25 oder 30 Jahre Energiewirtschafts- und IT-Kenntnisse verfügen, kann man das nicht schnell in drei Jahren wieder aufbauen.  Wir gehen eher von zwei bis drei Jahren aus, bis neue Mitarbeitende selbstständig tätig werden können, und von fünf bis zehn Jahren, bis sie wirklich einen guten Überblick über die SAP-zentrierte IT, also Abrechnungen und die notwendige Regulatorik, bei einem Energieversorger haben.

Gibt es Unterschiede bei privaten und öffentlichen Unternehmen mit Blick auf den Durchdringungsgrad der KI?

Ostermann: Ein typisches deutsches Stadtwerk ist häufig, nicht immer, etwas konservativer aufgestellt als ein großer privater Energieversorger. Man muss auch festhalten, dass die großen Konzerne natürlich andere Mittel zur Verfügung haben, um solche Themen anzugehen. Grundsätzlich teilen sie aber alle die gleichen Herausforderungen, was die Verfügbarkeit von Arbeitskräften, Ressourcen und Know-how angeht. Natürlich kommt es auch stark auf die Unternehmenskultur an, wie progressiv man agiert, wie stark KI als Lösung für bestimmte Themen angesehen wird und wie sehr man sich damit auseinandersetzt.

"Wir digitalisieren das Wissen, das langjährige Mitarbeitende aufgebaut haben, indem wir unterschiedlichste Quellen wie Regulatorik und Softwaresysteme anbinden."

Wie sieht es denn mit der Einarbeitung aus? Wie schnell kann das geschehen? Und haben Sie da ein Team vor Ort, das Kunden einarbeitet und technisch unterstützt?

Ostermann: Das, was wir aufbauen, die Knowledge-Graphen, ist grundsätzlich digitales Wissen. Das kann im einfachsten Fall wie ein Chatbot genutzt werden und bedarf keiner Einarbeitungszeit.

Wir digitalisieren das Wissen, das langjährige Mitarbeitende aufgebaut haben, indem wir unterschiedlichste Quellen wie Regulatorik und Softwaresysteme anbinden. Dabei geht es darum, wie diese aufgebaut sind, welche Funktionalitäten es gibt bis hin zu kundenindividuellen Aspekten. Dieses Wissen integrieren wir in den Knowledge-Graphen und bauen dann verschiedene Use Cases darauf auf.

Einer davon ist ein Chatbot, dem junge Mitarbeitende eines Energieversorgers beim Onboarding Fragen stellen können, sowohl generische als auch sehr spezifische Fragen zu internen Systemen. Diesen Chatbot zu handhaben ist sehr einfach, und er kann auch von erfahrenen Mitarbeiter:innen zu komplexeren Dingen befragt werden, zum Beispiel zu einem Implementierungskonzept für einen Formatwechsel, der bald ansteht.

Polakel: Genau da ist auch das Zusammenspiel mit Cerebricks. Wir sind mittlerweile mit 70 Beratern und Beraterinnen stark aufgestellt und übernehmen im Grunde die technische Integration. Das heißt, die Kniit-Software kann natürlich auch in die kundenindividuelle Systeme integriert werden. Dort muss der Knowledge-Graph dann auch an die entsprechenden Spezifika angepasst werden. Dabei kommen unsere Berater ins Spiel, um dies beim Kunden einzuführen und zu implementieren.

Die beiden Unternehmen haben sich offiziell im August zusammengetan. Haben Sie schon Kunden, die diese Programme anwenden und welches Feedback geben sie?

Polakel: Wir haben einen großen Energiekonzern als Kunden, und da ist die Lösung schon im Betrieb. Wir sind mit mehreren weiteren Kunden im Gespräch, sowohl mit Stadtwerken als auch mit privaten Unternehmen. In vielen Bereichen ist die Lösung noch im Aufbau, wir sind ja schließlich noch ein Start-up. Im Laufe des nächsten Jahres werden daher verschiedene Use Cases Schritt für Schritt ausgerollt.

"Wissen zu konservieren und weiterzugeben beziehungsweise es zu digitalisieren ist ein Riesenthema."

Ostermann: Wir haben jetzt einen konkreten Use Case aufgesetzt. Wissen zu konservieren und weiterzugeben beziehungsweise es zu digitalisieren ist ein Riesenthema, und wo immer wir die Idee vorstellen, stoßen wir auf großes Interesse. Natürlich ist aktuell auch ein hervorragender Zeitpunkt dafür, denn alle Energieversorger, die SAP benutzen, müssen gerade ihre S/4-Transformation durchführen, also vom ECC-System auf S/4HANA Utilities wechseln. Das muss bis Ende 2027 abgeschlossen sein. Das bedeutet, es werden gerade große neue Plattformen aufgebaut bei den Energieversorgern, und das von Anfang an zu begleiten, ist sehr spannend.

Das Interview führte Ruth Heer.

Mehr zum Thema: 

Trunk: "Topmanager bei einem Stadtwerk zu sein ist eine komplexe Angelegenheit"

CEO der Zukunft: Initiative gegen den Führungskräftemangel

Studie: Personalmangel und digitales Dilemma plagen den öffentlichen Sektor

Lesen Sie weiter mit Ihrem ZfK-Abonnement

Erhalten Sie uneingeschränkten Zugang zu allen Inhalten der ZfK!

✓ Vollzugriff auf alle ZfK-Artikel und das digitale ePaper
✓ Exklusive Analysen, Hintergründe und Interviews aus der Branche
✓ Tägliche Branchen-Newsletter mit den wichtigsten Entwicklungen

Ihr Abonnement auswählen

Haben Sie Fehler entdeckt? Wollen Sie uns Ihre Meinung mitteilen? Dann kontaktieren Sie unsere Redaktion gerne unter redaktion@zfk.de.

Home
E-Paper