Badenova-Chef: Transformation ist Pflichtstrategie der Stadtwerke
Der Energieversorger Badenova startete 2022 eine umfassende Transformation mit Milliardeninvestitionen in Zukunftstechnologien. Ziel ist ein integriertes Ökosystem aus erneuerbaren Energien, Netzen, Speichern, Ladeinfrastruktur und Dienstleistungen.
Im September 2025 erschien dazu das Buch "Energized Transformation – Führen im disruptiven Wandel", in dem Badenova-Geschäftsführer Hans-Martin Hellebrand zusammen mit René Esteban, CEO der Transformationsberatung Focusfirst, Einblicke in strategische Entscheidungen des Transformationsprozesses gibt.
Auf dem nächsten VKU-Stadtwerkekongress (30.9.-1.10.2025) diskutiert Hellebrand über Führung in unsicheren Zeiten – und macht im Buch-Interview deutlich: Zukunftssicherung heißt Anpassungsfähigkeit.
Herr Hellebrand, Sie sagen, Transformation ist keine Option, sondern eine Überlebensstrategie. Wie ernst ist die Lage für Stadtwerke speziell?
Sehr ernst – aus zwei Gründen. Erstens verändert sich das Klima spürbar, extreme Wetterereignisse nehmen zu, politische Vorgaben verschärfen sich. Wir wissen, dass es an Treibhausgasen liegt und dass die Energiewirtschaft einen großen Hebel hat, gegenzusteuern. Dafür muss jedoch das gesamte Energiesystem umgebaut werden – ausreichend sind nicht ein paar Stellschrauben.
Zweitens betrifft es uns als Stadtwerke direkt. Wir leisten die Daseinsvorsorge von gestern und heute, und die Erwartung ist groß, dass wir das auch für morgen tun. Bürger:innen vertrauen uns – und wir müssen den Umbau maßgeblich vorantreiben. Wer jetzt nicht handelt, gefährdet nicht nur die Klimaziele, sondern auch die eigene Wettbewerbsfähigkeit. Tun wir es nicht, tun es andere.
Das ist auch die Kernaussage Ihres Buches?
Ja: Wir haben die Transformationsaufgabe, Zukunft zu gestalten. Dafür müssen wir uns als Unternehmen wandeln. Transformation darf kein Flickwerk sein, sondern braucht einen strukturierten, ganzheitlichen Prozess: vom Energieversorger zum Energiewendegestalter. Und zwar gemeinsam mit anderen kommunalen Unternehmen.
Wie kam es zur Idee, daraus ein Buch zu machen?
Die Nachfrage kam aus dem Markt. Zuerst haben wir Artikel zu unserer Transformation geschrieben, dann einen erfolgreichen Podcast gestartet. Viele fragten nach einer Vertiefung – so entstand die Idee zum Buch. Unsere Erfahrungen teilen wir offen, damit andere auf unseren Erfahrungen aufsetzen können und nicht dieselben Fehler machen. Heute sind Energieversorger für mich weniger Konkurrenten, sondern Mitstreiter. Wir müssen gemeinsam Zukunft gestalten – dafür teilen wir unser Wissen.
"Viele Ideen kamen direkt aus den Teams. So entstand ein digitales Partnernetzwerk mit dem Handwerk. Solche Projekte zeigen, wie ein gemeinsames Zielbild Energie freisetzt."
Im Buch beschreiben Sie den Transformationsprozess bei Badenova. Ist der Energieversorger schon aktiv Gestalter seiner Zukunft?
Ja, das ist unser Anspruch. Wir haben ein ambitioniertes Zielbild entwickelt, Strategien formuliert, einen Steuerungsrahmen etabliert – und viele operative Initiativen gestartet. Beispiele sind das Ökosystem Energiewende@Home, die ersten Kilometer des Wasserstoff-Kernnetzes oder der Einsatz von künstlicher Intelligenz im Energiehandel. Transformation bei Badenova bedeutet: Wir übersetzen Visionen in konkrete Projekte – und wir binden Mitarbeitende, Partner und Kunden aktiv ein.

Was waren für Sie "Lessons Learned“?
Das war besonders am Anfang beim Zielbild. Unser Satz lautet: "Für eine lebenswerte Zukunft gestalten wir die Energie- und Wärmewende. Mit der Region, für die Region." Marketingmäßig klingt das gut, aber wenn es nur im Vorstand beschlossen wird, bleibt es leblos. Wir haben bewusst lange mit der gesamten Belegschaft diskutiert – vom Monteur bis zur Geschäftsführung. So wurde das Ziel zum gemeinsamen Bild.
Wichtig ist auch, nicht in Wortklaubereien zu enden. Irgendwann wussten alle: Wir wollen Zukunft gestalten, vor allem mit und in der Region. Das Bild muss im Alltag lebendig bleiben. Deshalb hängt es bei uns in Besprechungsräumen und ist Ankerpunkt vieler Präsentationen.
Sie sagen, Stadtwerke müssen dabei gemeinsam handeln. Wie gelingt das?
Über Plattformen wie den Stadtwerke-Kongress, aber auch Verbände oder Branchennetzwerke. Dort teilen wir heute viel offener als früher. So entstehen Kooperationen: Ein Stadtwerk hört von unserem Projekt und sagt: "Das wollen wir auch umsetzen." Daraus entwickeln sich konkrete, gemeinsame Initiativen.
Wenn Badenova ein Projekt entwickelt, verliert niemand etwas, wenn es woanders übernommen wird. Im Gegenteil: Wir beschleunigen gemeinsam die Energiewende. Und: Offenheit zahlt sich aus. Wir geben etwas – und bekommen durch Kooperationen, Learnings und Skaleneffekte viel zurück.
Manche Stadtwerke sind schon auf einem ambitionierten Transformationskurs, andere noch vorsichtiger. Insgesamt aber spüre ich: Der Auftrag ist verstanden. Viele Unternehmen wollen gestalten, suchen Kooperationen, bilden Netzwerke und investieren in neue Geschäftsmodelle.
Früher hieß es, wir leben in einer VUCA-Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity). Im Buch sprechen Sie von der BANI-Welt. Wie zeigt sich das in der Praxis?
BANI beschreibt unsere Realität sehr treffend: Brittle – unsere Energiesysteme sind fragil, eine Pipeline-Sprengung reicht, um Märkte ins Wanken zu bringen. Anxious – steigende Preise verunsichern Kundinnen und Kunden. Non-linear – Entwicklungen verlaufen sprunghaft, etwa beim Hochlauf von Wasserstoff oder bei regulatorischen Vorgaben. Incomprehensible – geopolitische Entscheidungen sind schwer nachvollziehbar, wirken aber sofort.
Für uns heißt das: kürzere Zyklen, mehr Agilität, Resilienz und eine offene, transparente Kommunikation. Noch stärker als VUCA zeigt uns BANI, wie unser Mindset sein muss: jederzeit mit Veränderungen umgehen können.
Die Spracherkennung Siri brauchte 15 Jahre, um halbwegs Deutsch zu verstehen. Dann kam ChatGPT – und plötzlich ist die Zukunft da. Solche Sprünge werden wir öfter sehen, in einer unsicheren Welt. Entscheidend ist, offen zu bleiben: Technologien, die bedrohlich wirken, können enorme Chancen bieten.
"Meine Hauptthese lautet: Am wichtigsten ist in Zukunft die Anpassungsfähigkeit. Teams müssen nahe am Kunden selbstständig reagieren können, ohne lange Befehlsketten."
Um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein, beschreiben Sie im Buch, wie Sie sich bei Badenova dann auf die PEAK-Methode gestützt haben. Warum?
PEAK – Perceive, Envision, Architect, Kickoff – ist ein strukturierter Prozess, um ein Zielbild zu entwickeln und im Unternehmen zu verankern. Zuerst nehmen wir wahr, wo wir stehen – durch Interviews mit Gesellschaftern und Mitarbeitenden. Dann entwickeln wir ein Zukunftsbild, das wir gemeinsam ausgestalten. Schließlich verankern wir es über Kickoff-Formate, etwa ein Sommerfest, bei dem Abteilungen ihren Beitrag selbst vorstellen. Wichtig ist: Externe begleiten nur den Prozess, das Unternehmen bleibt am Steuer. Transformation muss selbst erarbeitet werden.
Das klingt nach einer Mammutaufgabe.
Das ist richtig, aber sie hat enorme Energie freigesetzt. Wir binden unsere Belegschaft früh ein. Unser Zielbild ist nicht vom Vorstand vorgegeben, sondern gemeinsam erarbeitet.
Viele Ideen kamen direkt aus den Teams – zum Beispiel Energiewende@Home. Kolleg:innen sagten: "Wenn wir die Wärmewende gestalten wollen, müssen wir auch konkrete Angebote machen." So entstand ein digitales Partnernetzwerk mit dem Handwerk. Solche Projekte zeigen, wie ein gemeinsames Zielbild Energie freisetzt. Als Vorstand bekommt man Gänsehaut, wenn man sieht, wie sich Kolleg:innen für ihr Thema begeistern.
Beim Stadtwerke-Kongress diskutieren Sie über Führung in unsicheren Zeiten. Hat sich Ihre Führungsphilosophie geändert?
Ganz sicher. Führung heißt heute begleiten statt diktieren. Wir geben Orientierung und Ziele, erarbeiten diese aber gemeinsam und bauen Hürden ab. Meine Hauptthese lautet: Am wichtigsten ist in Zukunft die Anpassungsfähigkeit. Teams müssen nahe am Kunden selbstständig reagieren können, ohne lange Befehlsketten.
Das ist gelebte Evolutionstheorie nach Darwin: Nicht die Stärksten überleben, sondern die Anpassungsfähigsten. Wir haben 1600 Mitarbeitende – wenn jede:r sein Thema als "Baby" begreift und Chancen nutzt, ist das die beste Aufstellung. Dazu gehört auch eine echte Fehlerkultur. Wenn etwas schiefgeht, heißt es: lernen, weitermachen – nicht Schuldige suchen.
Das Interview führte Boris Schlizio
Am 1. Oktober diskutieren Olaf Schulz (Berliner Sparkasse), Jens Meier (Stadtwerke Lübeck) und Hans-Martin Hellebrand (Badenova) beim VKU-Stadtwerkekongress unter der Moderation von Astrid Frohloff über "Führen in herausfordernden und unsicheren Zeiten – Welches Mindset braucht’s?"



