Neue Spielregeln für Mieterstrom: Ein Meilenstein mit Anlaufschwierigkeiten

Gastbeitrag von
Lukas Böhm,
Geschäftsführer und Head Customer Success
Solarize
Ein zentraler Baustein der Energiewende in Deutschland ist die Dezentralisierung der Energieversorgung. Mieterstrommodelle spielen dabei eine Schlüsselrolle, da sie es ermöglichen, lokal erzeugten grünen Strom direkt in Mehrparteienimmobilien zu nutzen. In der Vergangenheit mussten Mieterstromanbieter und Mieter jedoch ein hohes Maß an Geduld aufbringen, denn: Der Wechsel von Mietern in oder aus einem Mieterstrommodell kann sich über Wochen oder sogar Monate hinziehen. Der Grund: Lieferantenwechsel im Mieterstrom liefen bislang in jedem Netzgebiet unterschiedlich und fast immer manuell. Automatisierung und Skalierbarkeit? Fehlanzeige.
Die lang ersehnten Standards sind da – und gelten für alle
Gemeinsam mit dem 24-Stunden-Lieferantenwechsel sind standardisierte Mieterstrom Wechselprozesse seit 6. Juni 2025 Teil der offiziellen Marktkommunikation. Im UTILMD-Anwendungshandbuch (AHB) Strom 2.1 sind sämtliche Nachrichten für den Wechsel eines Anschlussnutzers in beziehungsweise aus dem Mieterstrom detailliert dokumentiert undfür alle Lieferanten und Netzbetreiber anzuwenden. Das bedeutet: Die Spielregeln sind klar, und die theoretische Basis für reibungslose Mieterstrom-Wechselprozesse ist geschaffen.
Was ist neu? Die Schlüsselfunktion des Reststromlieferanten
Eine zentrale Neuerung ist die Rolle des Reststromlieferanten in Mieterstromprojekten. Der Lieferant übernimmt zukünftig die gesamte Marktkommunikation für Wechsel von Anschlussnutzern in und aus dem Mieterstrom. Das Ziel ist ein standardisierter Wechselprozess, der analog zu einem herkömmlichen Lieferantenwechsel abläuft. Das heißt, dass Lieferantenwechsel im Mieterstrom zukünftig im Rahmen des 24-Stunden-Lieferantenwechsels abgewickelt werden sollen.
Wir bei Solarize haben diese Prozesse und die Neuordnung der relevanten Rollen im Mieterstrom frühzeitig umgesetzt und bereits mit Partnern wie dem Ökostromlieferanten Polarstern eingeführt. Durch diese Partnerschaft und die Anbindung der beiden Systeme sind unsere Kunden in der Lage, den Wechsel eines Mieters in den oder aus dem Mieterstrom mit wenigen Klicks und aus einem System heraus anzustoßen. Dies bietet enorme Vorteile für alle Beteiligten. Somit können auch Mieterstrombetreiber ohne eigene Marktrolle Lieferant von den Standards profitieren.
Darüber hinaus arbeiten wir intensiv an der Umsetzung mit weiteren führenden Lieferanten und binden Lieferanten auf Kundenwunsch an unsere Plattform an.
Positive Auswirkungen für alle Marktteilnehmer
Die Einführung der neuen Marktprozesse verspricht signifikante Vorteile für alle Beteiligten:
- Reduzierte Bürokratie: Manuelle Abstimmungen, endlose E-Mail-Korrespondenz und fehleranfällige händische Prozesse gehören der Vergangenheit an.
- Schnellere Aktivierung von Mietern: Mieter können deutlich zügiger vom Mieterstrom profitieren, was die Attraktivität des Modells erhöht.
- Bessere Skalierbarkeit des Geschäftsmodells: Mieterstromanbieter können Projekte effizienter managen und ihr Portfolio schneller ausbauen, da die operativen Hürden massiv sinken.
Zwischenfazit: Große Hoffnung, Hürden im Anlauf
Die Einführung der standardisierten Wechselprozesse für Mieterstrom war ein lang ersehnter Schritt und stellt eine erhebliche Verbesserung im Mieterstrombetrieb für alle Beteiligtendar. Die Möglichkeit, Prozesse zu automatisieren und den Aufwand für bilaterale Abstimmungen zu reduzieren, ist ein enormer Fortschritt. Die Rollen sind klar definiert, und die technische Implementierung auf unserer Seite ermöglicht es Mieterstromanbietern, die neuen Prozesse direkt aus unserer Software heraus zu nutzen.
Allerdings zeigen die ersten Wochen seit dem Inkrafttreten der neuen Standards auch, dass der Anlauf in der Praxis noch mit Herausforderungen verbunden ist. Von Seiten der Netzbetreiber erhalten wir auf unsere Wechselanfragen derzeit leider noch nicht die erhofften Antworten in Form der definierten Marktnachrichten. Es scheint, als ob viele Netzbetreiber die Komplexität des Themas oder die Notwendigkeit zur internen Anpassung ihrer Systeme und Prozesse noch nicht vollständig erfasst oder umgesetzt haben. Dies manifestiert sich aktuell in einer überdurchschnittlich hohen Zahl von Ablehnungen oder ausbleibenden Antworten.
"Die Auswahl der Reststromlieferanten wird stark eingeschränkt."
Erschwerend kommt hinzu, dass einige Netzbetreiber nun Wechselprozesse über den Lieferanten fordern, diese im Anschluss jedoch noch nicht verarbeiten und beantworten können. Dadurch wird die Auswahl der Reststromlieferanten stark eingeschränkt, ohne im Gegenzug prozessuale Verbesserungen zu haben. Wir fordern: Wer A sagt, muss auch B sagen.
Damit die Prozesse von der Theorie in die Praxis überführt werden können, müssen die Netzbetreiber ihren Pflichten vollumfänglich nachkommen und die neuen Prozesse konsequent umsetzen. Dies ist eine vergleichbare Situation, wie sie auch beim 24-Stunden-Lieferantenwechsel vielfach diskutiert wurde: Dort gibt es ebenfalls Anlaufschwierigkeiten, weil viele Netzbetreiber die neuen Standards noch nicht vollumfänglich abbilden können. Nur wenn alle Marktpartner ihren Teil beitragen und ihre Prozesse entsprechend anpassen, werden die vollen Vorteile der Standardisierung in der Praxis sichtbar.
Fazit: Ein Meilenstein für die dezentrale Energiewende – wenn alle mitziehen
Die neuen Mieterstrom-Wechselprozesse sind ein echter Meilenstein für die dezentrale Energiewende und die Dekarbonisierung unserer Gebäude. Sie haben das Potenzial, Mieterstrom von einem Nischenprodukt zu einem skalierbaren und weit verbreiteten Modell zu entwickeln. Dies beschleunigt die Elektrizitätsversorgung aus erneuerbaren Energien direkt vor Ort und stärkt die Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen.
Die technischen und regulatorischen Grundlagen sind gelegt, und die Softwarelösungen sind verfügbar. Jetzt ist es an der Zeit, dass alle Akteure – insbesondere die Netzbetreiber – ihre Hausaufgaben machen. Nur gemeinsam können wir das volle Potenzial des Mieterstroms ausschöpfen und so einen entscheidenden Beitrag zu einer nachhaltigen Energiezukunft leisten.



