Russland lenkt seine Gasexporte um
Im Jahr 2000 exportierte der russische Staatskonzern Gazprom sein Erdgas noch nahezu ausschließlich über Pipelines über den Transit durch die Ukraine nach Europa. Die Exportmenge lag damals bei rund 140 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Insgesamt förderte Russland damals rund 600 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr, hauptsächlich für den Verbrauch im Inland. In den folgenden Jahren stiegen die Exportmengen Gazproms über den vollen Ausbau der Yamal-Pipeline (Transit nach Polen) im Jahr 2006 und über die Nord Stream ab 2011 kontinuierlich an.
Bis zum Jahr 2021 stiegen die Erdgasexporte Gazproms nach Europa über die vier Hauptpipelines, "Nord Stream" (Ostsee), "Urengoy–Pomary–Uzhhorod" (Ukraine), "Yamal" (Polen) und "Turk Stream" (Schwarzes Meer) und der hoch laufenden LNG-Exporte auf insgesamt rund 180 Milliarden Kubikmeter. Die Gasförderung Russlands stieg dabei auf rund 700 Milliarden Kubikmeter pro Jahr.
Asien spielte als Absatzmarkt lange keine Rolle
In den Jahren 2000 bis 2010 exportierte Russland nur geringe Mengen Gas nach Asien, hauptsächlich über bestehende Pipelines nach Zentralasien und teilweise nach China. LNG spielte keine große Rolle, geringe Mengen wurden aus dem Projekt "Sakhalin-2" nach Asien exportiert.
Die LNG-Produktion Russlands stieg in den letzten Jahren rasant an und erreichte im Jahr 2024 mit insgesamt 33,6 Millionen Tonnen LNG (circa 46 Milliarden Kubikmeter Erdgas) den bisherigen Höchstwert. Rund die Hälfte davon ging 2024 nach China und Japan, die andere Hälfte nach Europa.
Russland fokussierte bereits Mitte des letzten Jahrzehnts den Blick nach Asien und setzte niemals alles auf die Karte Nord Stream 2. Im Jahr 2014 unterzeichnete Russland einen langfristigen Liefervertrag mit China über die Pipeline "Power of Siberia", mit einem geplanten Volumen von 38 Milliarden Kubikmeter jährlich ab 2019.
Asien verdrängt Europa als größter Absatzmarkt
Im Jahr 2025 sieht die Situation im Vergleich zum Beginn des Jahrtausends komplett anders aus. Russland hat sich nach Asien umorientiert und Wege gefunden, die Sanktionen der EU zu umgehen.
Rund 40 Mrd. Kubikmeter Erdgas werden voraussichtlich über die Pipeline "Power of Siberia" nach China exportiert werden. Dazu sollen knapp 6 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Usbekistan und Kasachstan über die "Central Asia–Center" (CAC)-Pipeline geliefert werden.
Über die "Blue Stream" und den Strang 1 der "Turk Stream"-Pipeline könnten voraussichtlich in die Türkei rund 21 Mrd. Kubikmeter geliefert werden. Die LNG-Produktion könnte in Erdgaslieferungen von umgerechnet insgesamt 50 Mrd. Kubikmetern münden, von denen mehr als die Hälfte nach Asien geliefert werden könnten.
Der Export nach Europa könnte damit mit "Turk Stream"-Lieferung und LNG-Lieferungen bei rund 36 Mrd. Kubikmetern liegen und damit ungefähr auf dem Niveau der "Power-of Siberia" Lieferungen nach China.
Gasexporte nach Asien könnten deutlich ansteigen
Die Versorgung Chinas über die "Power of Siberia" könnte in den nächsten Jahren auf 50 Mrd. Kubikmeter ausgebaut werden. Seit langem gibt es immer wieder Absichtserklärungen für das Projekt "Power of Siberia 2". Bisher besteht kein Liefervertrag. Kommt dieser zustande, so könnte sich für Russland ein neuer Absatzweg von zusätzlichen 50 Milliarden Kubikmetern Erdgas pro Jahr ergeben.
Die Fernost-Pipeline nach China soll 2027 in Betrieb genommen werden und bis zum Ende des Jahrzehnts auf 10 Milliarden Kubikmeter pro Jahr hochgefahren werden, mit einem potenziellen Aufwärtspotenzial von 2 Milliarden Kubikmetern.
Durch den seit 2023 eingeführten Reverse Flow auf der "Central Asia–Center" (CAC)-Pipeline könnten bis 2030 rund 12 Milliarden Kubikmeter nach Zentralasien beziehungsweise nach Usbekistan und Kasachstan verkauft werden.
Darüber hinaus plant Russland trotz aller Sanktionen die LNG-Produktion, insbesondere des "Arctic LNG 2"- Terminals, bis 2030 deutlich auszubauen. Geplant ist ein Volumen von über 100 Millionen Tonnen LNG, das entspräche rund 140 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Europa würde dann als Absatzmarkt – ob mit oder ohne Gasimportverbot – für Russland keine gewichtige Rolle mehr spielen.
Unser Kolumnist Joachim Endress ist Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Ganexo. Er analysiert wöchentlich die aktuellen Entwicklungen im Gasmarkt für das ZfK-Morning Briefing.
Der Titel seiner letzten Analyse lautet: EU-Gasspeicher sind zu 80 Prozent gefüllt

