Von Hans-Peter Hoeren
Mit einer Nähmaschine, die immer gleichbleibend und verlässlich wie ein Uhrwerk "durch den Markt rattert", vergleicht Jan Zander gerne die überregionale Vertriebsstrategie und die Preiskalkulation der Stadtwerke Flensburg. "Wir operieren immer nach der gleichen und konstanten Logik, mit eng kalkulierten Margen etwas oberhalb unserer realen Kosten und fairen und verlässlichen Preisen nah an den Notierungen der Großhandelsmärkte, aber immer ohne Boni", sagt der Vertriebsleiter des norddeutschen Kommunalversorgers im Gespräch mit der ZfK.
Von saisonalen Akquisekampagnen oder besonderen Aktionen, etwa aufgrund der aktuell vergleichsweise niedrigen Neukundenpreise für Erdgas, verzichte man bewusst. Auch die aktuelle Ankündigung von Verivox, dass die Neukundenpreise so tief seien wie noch nie im Jahr, quittiert man in Flensburg mit Schulterzucken und verbucht das eher unter der Rubrik Arbeitsbeschaffung für das Vergleichsportal.

Ambitioniertes Ziel
"Die Volatilität an den Handelsmärkten ist vergleichsweise gering. Es gibt keine Triggereffekte, die Millionen Kunden momentan in den Preisvergleich treiben", verdeutlicht Zander. "Die Endkundenpreise für Erdgas sind aktuell weder sonderlich gut noch sonderlich schlecht. Das Preisniveau ist ordentlich, an unseren Kalkulationen ändert das aber nichts", sagt er. Ziel der Stadtwerke Flensburg sei es, immer auf den Vergleichsportalen in der Rubrik der Anbieter ohne Boni in den Top 10 zu sein. Das Potenzial in diesem Segment liege bei rund zehn Prozent aller Energiekunden. "Die Preishopper und sehr wechselaffinen Verbraucher sind für uns zum Teil sehr schwer zu managen", so Zander weiter. Schon nach einem Jahr könne man wieder die Hälfte verlieren, ein nachhaltiges Wirtschaften sei so nur schwer möglich.
Nachdem die Stadtwerke Flensburg in der jüngsten Energiekrise einen Großteil der überregionalen Kunden im mittleren fünfstelligen Bereich nicht mehr beliefern konnten und die Verträge vorzeitig kündigen mussten, hat der Versorger vor rund zwei Jahren ein eindrucksvolles Comeback gefeiert. Auch im laufenden Jahr stehen die Zeichen auf signifikantem Wachstum. "Das ist offenbar eine nachhaltigere Entwicklung und mehr als ein einmaliger Postkriseneffekt. Wir sind weiter in der Lage, in größerer Zahl Energiekunden, insbesondere auch im Erdgas bundesweit für uns zu gewinnen", sagt der zur Mitte des nächsten Jahres ausscheidende Geschäftsführer Dirk Thole.
Deutlicher Kundenzuwachs
Im laufenden Jahr habe man rund 90.000 neue Strom- und Gaskunden gewonnen. Im Erdgassegment rechnet er mit einem Bruttozuwachs in diesem Jahr von 60.000 Kunden, zum Jahresende werde man rund 70.000 Kunden bundesweit mit Erdgas versorgen. Zum Vergleich: Zum Ende der Energiekrise waren es 4.000. "Wir wachsen natürlich im angestammten Markt in Schleswig-Holstein etwas stärker, dennoch verteilt sich unser Kundenstamm relativ gleichmäßig über das ganze Bundesgebiet", sagt Thole. Seit Ende der 1990er Jahre sind die Flensburger im überregionalen Gasvertrieb tätig. Dass sie in den letzten zwei Jahren wieder nahtlos an die erfolgreichen Zeiten vor der Energiekrise anknüpfen können, führt Thole vor allem auf bestehende, gute, schlanke und digitale Prozesse zurück, insbesondere im Bereich des Abrechnungsmanagements. Zudem habe die Marke der Stadtwerke Flensburg auch überregional Strahlkraft. "Als kommunales Unternehmen stehen wir für Transparenz, Fairness und Verlässlichkeit", sagt er.
"Wir haben eine deutlich höhere Vielfalt und damit eine größere Risikostreuung in der Beschaffung" Dirk Thole, Stadtwerke Flensburg
Dass das Unternehmen in einer möglichen künftigen Energiekrise nochmals Kundenverträge vorzeitig kündigen muss, schließt Thole aus. "Wir haben eine deutlich höhere Vielfalt und damit eine größere Risikostreuung in der Beschaffung", versichert er. Die Zahl der wesentlichen Vorlieferanten habe sich von knapp 10 auf nahezu 20 verdoppelt. In der jüngsten Energiekrise mussten die Flensburger einige Kunden von Discountern kurzfristig in die Grundversorgung aufnehmen. Die dadurch benötigten höheren Mengen konnten die Vorlieferanten aber nicht bereitstellen, auch deshalb musste sich der Kommunalversorger von vielen überregionalen Kunden trennen.
Ein wesentlicher Faktor für das aktuelle Vertriebswachstum in Flensburg ist zudem, dass es Thole gelungen ist, das Führungsteam mit erfahrenen Energiefachleuten mit einer ausgeprägten Digitalexpertise zu stärken. Einer davon ist Jan Zander, der seit Oktober 2023 den Stadtwerke-Vertrieb leitet: "Es wurde hier eine starke Mannschaft aufgebaut, die weiß, wie man Kundenbedürfnisse digital erfolgreich umsetzt." Ein Erfolgsfaktor sei unter anderem die Professionalisierung beim Aufsetzen von Marketingkampagnen auf den Suchmaschinen Google und Bing. "So haben wir mehr Abschlüsse zu geringeren Kosten generieren können."
Zudem sei es gelungen, die Durchlaufquoten und Durchlaufgeschwindigkeiten von der Anmeldung des Kunden über die Anlage des Kunden in den Systemen bis hin zur Abrechnung in einem hohen Automatisierungsgrad umzusetzen, was die Effizienz noch einmal deutlich gesteigert habe. Auch das Zusammenspiel zwischen Online-Vertrieb und Online-Kundenservice habe man mit Erfolg noch enger verzahnt. Stark gespürt habe man im Markt Anfang Juni die Auswirkungen bei der Einführung des 24-Stunden-Lieferantenwechsels im Stromsegment. "Viele Versorger hatten über Wochen deutliche Schwierigkeiten, die Wechselprozesse zu bedienen. Das hatte deutliche Auswirkungen auf das Wechselgeschäft." In Flensburg habe man die Wechselprozesse aber seit einigen Wochen wieder im Griff. "Wir merken aber auch im Zusammenspiel mit Marktteilnehmern, dass bei einigen noch nicht alles zu 100 Prozent reibungslos läuft." Er gehe aber davon aus, dass sich das in den nächsten Wochen wieder vollständig einspielen werde.
Sorge um 24-Stunden-Lieferantenwechsel im Erdgas
Dass ab April nächsten Jahres nun auch der Startschuss für den 24-Stunden-Lieferantenwechsel im Erdgas erfolgen soll, sieht Zander mit einigen Sorgen. Ebenso befürchtet er, dass die geplanten Entlastungen für Industriekunden zu deutlich mehr bürokratischem Aufwand führen könnten. Generell sei der Verbraucher seit der jüngsten Energiekrise noch preissensibler, im positiven Sinn aufgeklärter und digitaler geworden. Die Konsumenten seien aus anderen Industrien, etwa beim Onlinehändler Amazon, sehr kurze Antwortzeiten gewohnt und reagierten teils auch ungeduldiger. "Das Kundenservicegeschäft hat sich mittlerweile deutlich intensiviert, wir haben im Jahr deutlich mehr Kundenkontakte", resümiert Zander. Lagen diese vor der Krise im Schnitt bei 1,3 Kontakten pro Kunde im Jahr, liege das Niveau mittlerweile bei 2,5. "Die Inanspruchnahme steigt, deshalb digitalisieren wir unsere Prozesse weiter stark." Künstliche Intelligenz soll dabei helfen, die Prozessgeschwindigkeit zu erhöhen. Auf Dauer würden diese Leistungen nicht mehr alle von Menschen erbracht werden können.
Dieser Artikel erschien zuerst in der aktuellen Printausgabe der ZfK. Hier geht es zum E-Paper.


