Von Lucas Maier
Der großflächige russische Angriff auf die Ukraine hat den Gasmarkt in Europa verschärft. Ein Gesetzesentwurf der Europäischen Union sah bislang vor, Gasimporte aus dem ehemaligen Zarenreich bis 2028 komplett zu unterbinden.
Die EU-Kommission schlägt nach dem Scheitern der US-Friedensinitiative einen früheren Ausstieg vor. Demnach soll bereits Anfang 2027 Schluss sein – also ein Jahr früher als geplant. Auf Druck aus Washington soll der Termin für ein Importverbot von verflüssigtem Erdgas (LNG) vorgezogen werden, wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte. Es sei an der Zeit, den russischen Gashahn zuzudrehen, da mit den Einnahmen der Krieg in der Ukraine finanziert werden würde.
Noch Anfang September hatte EU-Energiekommissar Dan Jørgensen im Gespräch mit "Reuters" deutlich gemacht, dass die USA keinen Druck auf ihn ausüben würden, noch vor dem Stichtag 1. Januar 2028 auszusteigen. Kurz zuvor hatte US-Präsident Donald Trump die europäischen Staaten dazu aufgefordert, die gesamten russischen Gasimporte einzustellen.
Russisches Gas kommt weiterhin nach Europa
Im ersten Halbjahr 2025 wurde laut der Statistikbehörde Eurostat Flüssiggas im Wert von fast 4,5 Milliarden Euro nach Europa importiert. Im vergangenen Jahr kam ein Fünftel aller Gaseinfuhren aus Russland.
Bevor Moskau am 24. Februar 2022 seinen völkerrechtswidrigen Großangriff auf die Ukraine begann, kam noch deutlich mehr Gas aus Russland. Im Jahr 2021 wurden EU-weit noch 150,2 Milliarden Kubikmeter russisches Gas importiert, das entsprach rund 45 Prozent des Gesamtimportvolumens. Die russischen Importe wurden bis 2024 auf 19 Prozent gedrosselt, es kamen noch 51,7 Milliarden Kubikmeter an.
Um die wegfallenden Importe auszugleichen, erhöhten sich die Lieferungen aus den USA um rund 139 Prozent auf 45,1 Milliarden Kubikmeter – was 16,5 Prozent des Gesamtvolumens ausmacht. Norwegen löste Russland als Hauptimporteur ab und lieferte 2024 mit 91,1 Milliarden Kubikmetern rund 33 Prozent des Importvolumens.
Energie als Waffe
EU-Energiekommissar Dan Jørgensen machte bereits mehrmals klar: "Putin hat Energieimporte als Waffe gegen uns gerichtet." Doch wie groß ist Russlands Macht auf dem internationalen Energiemarkt noch?
Den genauen Anteil der Energieexporte am russischen Bundesinlandsprodukt kann derzeit ebenso wenig ermittelt werden wie der aktuelle Anteil an den Exporten. Grund hierfür ist, dass Russland die Veröffentlichung der Daten eingestellt hat. Mit knapp über 60 Prozent waren Mineralien und Brennstoffe jedoch der größte Exportposten im Jahr 2023, wie die Wirtschaftskammer Österreich schreibt.
Neue Pipeline soll wohl Nord Stream ersetzen
Als Reaktion auf den Angriff gegen die Ukraine wurde das Ende der Gas-Pipeline "Nord Stream 2" besiegelt – und das noch, bevor sie jemals in Betrieb gehen konnte. Als "klares Signal an Moskau" stoppte der damalige Kanzler Olaf Scholz (SPD) den Zertifizierungsprozess der baulich fertiggestellten Anlage.
Durch die Schwesterpipeline "Nord Stream 1" wurde im ersten Halbjahr 2022 immer weniger Gas geleitet – Russland wollte so den Druck auf die EU erhöhen. Ende August stellte der russische Staatskonzern Gazprom die Lieferungen dann komplett ein. Im September 2022 beschädigten mehrere gezielte Explosionen drei der vier Nord-Stream-Pipelinestränge schwer.
Russland verliert europäischen Gasmarkt
Über Nord Stream I konnten pro Jahr 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas geliefert werden. Nord Stream 2 sollte in einer ähnlichen Volumengröße operieren. Bei voller Auslastung hätte Russland also zwei Drittel seines Gesamtliefervolumens für Europa über die beiden Pipelines schicken können – wenn man das 2024 als Maßstab nimmt. Doch offensichtlich hat Russland eine alternative Pipelineoption gefunden. Zumindest, wenn man nach dem Fördervolumen geht.
Anfang September kündigte Gazprom-CEO Alexey Miller den Bau der Pipeline Power of Siberia 2 (PoS-2) an. Sie soll Gas aus Sibirien nach China transportieren. Rund 50 Kubikmeter sollen es pro Jahr sein. Erstmal muss jedoch eine Machbarkeitsstudie durchgeführt werden. Sollte die Pipeline kommen, würde sie vermutlich frühsten 2030 in Betrieb genommen werden, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt.
Putin spricht von vorteilhaftem Projekt, aber verdient wenig
"Dies ist ein für beide Seiten vorteilhaftes Projekt. Was die Preisgestaltung betrifft, so wird sie zuerst, marktbasiert und an zweiter Stelle mit praktisch der gleichen Formel berechnet, wie sie für Lieferungen nach Europa verwendet wurde. Die Formel ist die gleiche", sagte Putin der staatlichen Nachrichtenagentur "Tass". Nur um kurz darauf zu verweisen, dass sich die Energiepreise in den Regionen eben unterscheiden würden.
Konkret heißt es, egal wie die Formel am Ende aussieht, Russland verkauft sein Gas zu weitaus niedrigeren Preisen. Die unabhängige "Moscow Times", mit Sitz in Amsterdam, berichtete zuletzt, dass der Preis weiter sinken werde. Nach der Inbetriebnahme 2019 kostet Gas, das über die Pipeline "Power of Siberia 1" an China geliefert wurde, 266 Dollar pro tausend Kubikmeter – rund 30 Prozent weniger, als damals am europäischen Markt aufgerufen wurde. Mittlerweile liegt der Preis in Europa bei knapp über 400 Dollar, für China wird das russische Gas auf 247,3 Dollar sinken – ein Unterschied von fast 40 Prozent. Neben Pipelinegas wird auch immer mehr LNG von Russland nach China geliefert.
Geopolitischer Einfluss dürfte Ausschlag geben
Ab 2030 könnte Russland über ein Fünftel des Gasbedarfs Chinas decken, wie das Center for strategic & international Studies CSIS schreibt. Dabei ignoriert China westliche Sanktionen, mit denen russische LNG-Terminals und Frachter belegt sind. Da China derzeit das größte Importland für Gas ist, hat die Ankündigung Russlands zum Bau der Power of Siberia 2 durchaus Gewicht – Märkte verschieben sich und die Macht Moskaus wird ausgebaut, auch wenn es monetär wenig lukrativ erscheint.
Dass Russland Energiemärkte nutzt, um westliche Konkurrenten zu schwächen, ist keineswegs eine neue Strategie. Bereits nach dem Ende des Kalten Krieges nutzte die ehemalige Sowjetunion den Atommarkt um die die amerikanische Wirtschaft zu schwächen.
Russlands und der Atomexport
Früher waren die USA der Hauptproduzent von Uranstäben für Kernkraftwerke weltweit, wie George Glasier, Geschäftsführer der Western Uranium&Vanadium dem MDR sagte. Durch einen starken Fall des Uranpreises änderte sich das. Russland verkaufte den sogenannten "Yellow Cake" (gelber Kuchen) jedoch weiter, zu dumping Preisen.
Später traf es auch den Anreicherungsmarkt. Frank von Hippel ehemaliger Professor an der Universität von Princeton (USA) und früherer Berater von es Ex-Präsidenten Bill Clinton blickt im MDR-Interview zurück. Nach dem Ende des Kalten Krieges lag die russische Atombranche am Boden – da keine Atomwaffen mehr produziert wurden. In 90er Jahren kauften die USA das restliche angereicherte Uran. Die Idee ging auf einen Studenten von Hippel zurück. Augenscheinlich wirkt es wie eine Win-Win-Situation, die USA kamen an billigen Rohstoff und die Atomindustrie in Russland konnte sich neu aufstellen.
Dr. Micheal Goff Leiter der Nuklearabteilung des Energieministeriums der USA erklärt im Gespräch mit dem MDR, dass in der Folge auch der Export von angereichertem Uran aus Russland anstieg. Also solchem, dass nicht aus Restbeständen stammte. Das russische Uran wurde unter Marktwert verkauft.
Die Folge: amerikanische Anreicherungsanlagen konnten dem Preisdruck nicht standhalten und stellten ihre Produktion ein. Heute wird versucht diesen Schritt mit Hilfe der Regierung wieder rückgängig zu machen, wie der MDR berichtet.
Die Welt in der atomaren Zange
Heute besitzt Russland fast die Hälfte der weltweiten Anreicherungsanlagen. 2023 lieferte der russische Staatskonzern Rosatom 46 Prozent des angereichten Urans auf dem Weltmarkt. Damit nicht genug: Seit 2014 haben mindestens 19 afrikanische Staaten erste Vereinbarungen zu Kraftwerk-Projekten mit Rosatom unterschrieben, wie eine Recherche des MDR zeigt. Aber auch in Europa werden noch Atomkraftwerke von Rosatom gebaut, 2023 wurde beispielsweise der Grundstein für eine Anlage in Ungarn gelegt und auch in der Türkei wird eines der Kraftwerke gebaut, ein weiteres ist im Gespräch.
Insgesamt werden derzeit weltweit 60 Reaktoren in 16 Ländern gebaut. Rosatom hat nach eigenen Angaben derzeit 42 Reaktoren in Bau oder Planung. 39 davon außerhalb von Russland. Im Gegensatz zu den westlichen Atomkonzernen bietet Russland ein Komplettpaket an – inklusive der Rücknahme von verbrauchten Brennstäben. Seit dem Großangriff auf die Ukraine konnte Rosatom seinen Gewinn verdoppeln.
Kernkraftprojekte ketten Kunden lange an den Kreml
Atomkraftwerke werden mit unterschiedlicher Technik gebaut. Während das Grundprinzip – Kernspaltung, Wärme, Strom – gleich ist, sind die Aufbauten unterschiedlich. Für Wartung und Ersatzteile ist man meist auf den Hersteller angewiesen. Die russische Variante, bei der Sechskant Brennstäbe eingesetzt werden, beherrscht neben Rosatom nur eine amerikanische Firma, wie der MDR berichtet. Zusammen mit der ukrainischen Energoatom hat sich die Westinghouse Electric Company bereits 2020 an die Erforschung der Systeme gemacht.

